Indem Sie sie durch Fälle zum Leuchten bringen. Ja, es ist wirklich so: Zu jeder Vorlesung steht mindestens ein Gesetz im Zentrum des Geschehens. Diese Gesetze sind gleichermaßen Sprach- wie Denkkunstwerke. Es sind die Stars in der Vorlesung. Und wie alle Stars verlangen sie etwas Glitter und Pomp. Sie müssen sie dramaturgisch, bühnengerecht inszenieren, eben „verlebendigen“. So wie Kohlen auch erst brennen, wenn sie angezündet sind, zuvor sind sie schwarze Ungetüme. Wie man diesen gesetzlichen „Monstern“ leben einhaucht, gehört zur Hohen Schule der Lehrkunst.
Juristische Lehrkunst liegt im Wesentlichen darin begründet, tote Gesetze in lebendiges Leben zurückzuverwandeln, ganz gleich, welche juristische Materie der Dozent gerade lehrt. Man sieht sich im Bannkreis dieses Themas leider gezwungen, auf Offenkundiges hinzuweisen: Der Umgang mit der juristischen Hauptliteratur, nämlich den Gesetzen, wird zu wenig geübt! Die Nebenliteratur, also die Lehrbücher und Kommentare, hat die Flughoheit über den juristischen Lehr- und Lernstühlen! Der Student lernt sein Handwerkszeug nicht richtig kennen! Die Arbeit am Gesetz und mit dem Gesetz am Fall wird in der Ausbildung vernachlässigt! Man sollte immer vom Original ausgehen, das ist das Gesetz! Manche Dozenten gehen oft direkt an die Sekundärliteratur ran, sie interessieren sich gar nicht mehr für die Quelle des literarischen Stroms. Das Lehren und Lernen von Jura ist ein hermeneutisches Verfahren (hermeneutes, griech.: Ausleger, Erklärer) – nämlich das Auseinandersetzen mit und das Übersetzen, Erklären und Auslegen von Texten: Gesetzestexten. Daran muss mit allem Nachdruck erinnert werden! Es darf kein juristisches Lehren ohne Gesetz geben. Dozenten und Studenten sind in jeder Vorlesung eine Interpretationsgemeinschaft: Der Dozent ist der Interpret des Gesetzes, das Gesetz das Interpretandum, der Student der Partner im dialogischen Prozess der Anwendung, Umsetzung und Auslegung. Dieser Prozess konstituiert sich im Rechtsverständnis. In diesem dialogischen Prozess muss der Dozent die zu interpretierenden Gesetze, diese gleichermaßen Denk- und Sprachkunstwerke, seine gerade aktuellen „Jura-Stars“, dramaturgisch umsetzen, inszenieren, ja „verlebendigen“. Dieses „Verlebendigen“ bedeutet ein Fünffaches:
Man muss immer den „stricly legal point of view“ intensiv einüben, bevor man die Grenzen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale diskutiert. Also zunächst: Lesen, denken, wieder lesen, nochmal denken!
Er muss seinen Studenten mehr als bisher die originale Begegnung mit dem Geburtsakt, mit dem „Jus ex ovo“, ermöglichen. Woher kommen sie? Welche Interessen waren ihre Paten? Welche Fälle aus dem Leben sind ins Gesetz gegossen worden? Was wollten ihre Väter und Mütter mit diesem Gesetz erreichen? Was bewirkten sie einst – was bewirken sie heute? Es muss sich das Alte im Modernen spiegeln!
An welcher Stelle dieses Systems leben sie? Was lebt rechts, was links von ihnen? Welche Bedingungen wirken auf sie und ihren Lebensraum ein? Wie lange werden sie leben?
Wie gesagt: Auch die Kohlen leuchten erst, wenn sie brennen! Welcher Normalfall stand Pate bei der Geburt des Gesetzes? Vom Normalfall zum Exoten, nicht umgekehrt. Er sollte mit gesetzeszentriertem Einsteigen über Normalfälle beginnen. Den Studenten fehlt die Vorstellung hinter dem Gesetz, mit Exoten kann er es sich nicht ausmalen! Vom normalen Lesen der Gesetzestexte muss man zum Röntgen der Wörter übergehen.
Welcher Fall wird bei der Auslegung als Grenzgänger gerade noch, welcher schon nicht mehr von diesem, sondern bereits von seinem Nachbargesetz erfasst? Welcher Extremfall liegt noch auf der Grenze des Gesetzes, welcher liegt bereits jenseits?
In der juristischen Ausbildung geht es in der Tat überall und immer und immer wieder um Gesetze! Nicht lange zu suchen braucht man deshalb nach Argumenten, warum ihre richtige Anwendung und Auslegung, ihre Tatbestandsmerkmale, die Erklärung von Interessenlagen für Gesetze, die logische Subsumtion unter Gesetze, also schlicht der Umgang mit Gesetzen, nicht nur in der Eingangsphase ein besonders wichtiges und ertragreiches Feld für jeden Dozenten ist. Den Studenten muss dieses tausendmal Gesagte immer wieder gesagt werden, damit es nicht einmal zu wenig gesagt ist. Gesetze! Gesetze! Gesetze! – Sie gehören in den Mittelpunkt jeder juristischen Lehr- und Lerneinheit. Gesetzestexte lesen und auslesen ist die didaktische Schnittmenge für alle Rechtsfächer.
Zugegeben: Dies ist eine Erkenntnis, die sich für einen Juristen von selbst versteht, also eine Binsenweisheit. Warum wird sie dann aber so wenig beherzigt? Es gibt Vorlesungen, in denen nicht ein einziges Mal das Gesetz aufgeschlagen wird, ja, in denen Studenten noch nicht einmal ein solches bei sich tragen. Meinungsstreite? Ja! Sonderprobleme? Ja! Fallexoten? Ja! Aber Gesetzestexte intensiv lesen? Nein! Dummer, überflüssiger Zusatztext!! Aufschlagen, aber nicht lesen! Die „Bedeutung des Gesetzes“ wird ständig wie eine Monstranz getragen, aber mit Füßen getreten. Reines Lippenbekenntnis! Die abstrakten Gesetze sind ja nun einmal nicht für die unmittelbare konkrete Anwendung konzipiert. Und der Dozent, der diese Abstrakta aufschließt und anwendungsfähig machen und den Umgang mit ihnen in studentisches Können verwandeln will, der muss Zeit zum Lesen lassen und studentenerfahrungsnah formulieren, um so manche Verbiesterung im Hörsaal aufzulösen.
Die grundsätzliche Einstellung der Studenten zum Gesetz wird im ersten Semester gelegt. Von der Schule sind Ihre Studenten mit Gesetzestexten nicht vertraut und sitzen den allgemeinen Vorurteilen über Gesetze auf: hölzern, zu abstrakt … unverständliche Codierung, nur für Juristen nachvollziehbar. Viele Dozenten schüren die Abneigung gegen das Gesetz auch noch durch Bemerkungen wie „schlecht formuliert“, „ungenauer Text“, „unpräzise“, „unsystematisch“, „greift zu kurz“. Was sich festsetzt: „Das Gesetz ist voller Lücken und zu Recht zweitrangig: Der Professor ist erstrangig“. Die Gesetze immer nur zu kritisieren ist kontraproduktiv, besonders im Anfang des Studiums. Die Freude an der Gesetzesarbeit wird ausgetrieben durch ständiges Infragestellen des Gesetzgebers und Hinweise auf Lehrbücher und Rechtsprechung. Das Gesetz geht in dieser Flut von Anklagen oft unter. Die systemimmanenten Schwächen des Gesetzes dürfen die Stärken des Gesetzes nie in Frage stellen. Den Studenten ist der Prozess der ständigen Weiterentwicklung der Gesetze, deren Qualität, aber auch deren Politikabhängigkeit, die Problematik der richterlichen Rechtsfortbildung sowie die Subjektivität der Entscheider nach und nach bewusst zu machen. Man kann die Konstrukte des Gesetzgebers fürchten, belächeln, aber auch … bewundern.
Das akribische Zerlegen der Normen in ihre Konditionalprogramme, ihre Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen, ihre Definitionen und Auslegungen, die Frage nach den unter einen Hut gebrachten Interessen sowie die bündige Subsumtion werden zu wenig eingeschliffen! Nicht von der Literatur zum Gesetz, sondern vom Gesetz zur Literatur muss der Ausbildungsweg fortschreiten. Gerade im Anfang und dann immer wieder muss der Dozent diese Fertigkeiten und Fähigkeiten vermitteln. Das Gesetz liefert den Text, die folgenden Schritte erst der Kommentar – während in den juristischen Hörsälen nicht selten sofort der Kommentar geliefert wird – ohne den Text. Zunächst müssen die „ipsissima verba“, die „ureigenen Worte“ des Gesetzes –die Tatbestandsmerkmale –, geklärt und erklärt werden, ihr programmatischer Aufbau studiert und der Umgang mit ihnen trainiert werden, ehe man sich in juristischen Theorien und Meinungsstreitereien in Unterricht, Vorlesung und Literatur, manchmal in akademischen Wolkenkuckucksheimen verliert. Der Student ist bei einem solchen Vorgehen ohnehin längst auf der Strecke geblieben. Nur das Gesetz verfügt über die Authentizität – alles andere ist Beiwerk.
Das sich im Fall – dem Sachverhalt – spiegelnde Gesetz muss immer wieder in den Mittelpunkt jeder juristischen Lehrstunde gestellt werden; das Gesetz, prismatisch gebrochen im „Fall“, ist das Zentralgestirn, um das Studium und späterer Beruf kreisen. Im Mittelpunkt steht der professionelle Umgang mit Fall und Gesetz. Ketzerische Frage: Ist der Fallbezug wirklich so rechtswissenschaftsfeindlich, wie so mancher behauptet, oder bewährt sich nicht gerade in der Falllösung die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz? – Wie auch immer! Das Gesetz ist jedenfalls der Leitstern aller juristischen Orientierung. Der Dozent sollte deshalb das Gesetz immer einsatzbereit, den gerade in Arbeit befindlichen Paragrafen immer einsprungbereit vorbildhaft neben sich aufgeschlagen liegen haben und das Gesetz immer im Stile absoluter Kleingeistkrämerei mit seinen Studenten lesen.
Bei jeder Neuvorstellung eines Gesetzes – und mindestens ein Gesetz sollte ja der „Star“ jeder juristischen Lehrstunde sein – sollte man die folgenden 5 didaktisch-methodischen Fragen stellen, denn eine nicht angeleitete Gesetzeslektüre ist für die Studenten des Anfangs schwierig, wenn nicht unmöglich zu verstehen. Sie lesen und lesen, oft ohne jeglichen Mehrwert und Erkenntnisgewinn.
Es seien an dieser Stelle für den Umgang mit dem Gesetz ein paar „besserwisserische“ Hinweise für Sie gestattet:
Machen Sie doch z.B. einmal aus § 181 BGB mit Ihren Studenten mehrere Paragrafen. Über diesen Paragrafen besteht ja insoweit Einigkeit, dass ihn auf Anhieb keiner versteht. Gemeinsam machen Dozent und Student spielerisch „mehr“ aus dem Paragrafen und formulieren ihn nun in drei Paragrafen: § 181 a (Insichgeschäft); § 181 b (Mehrfachvertretung); § 181 c (die Ausnahmen)
Im Sachenrecht käme man bei § 873 Abs. 1 BGB nie zum Verständnis, wenn man nicht die verwobenen und verschachtelten vier Alternativen in vollendete, ausformulierte §§ 873 a, 873 b, 873 c und 873 d sezieren würde.
Einen Idealfall zur Seziertechnik bildet § 267 StGB, ein gesetzgeberisches „Verschachtelungsmeisterwerk“. Der Charme dieser „Sezier- oder Gesetzesaufschlüsselungstechnik“ besteht darin, dass sie einfach ist und immer funktioniert.
Und nicht die Ergebnisse einfach vorgeben.
Auf diese Weise können Sie die Abschreckungseffekte der „Monster“ schnell minimieren und die Akzeptanz und die Lust im Umgang mit dem Gesetz gewinnen.
BGB: „Für morgen versuchen Sie bitte einmal, alle Anspruchsgrundlagen im 1. und 2. Buch ‚grün‘ anzustreichen, alle Gegenrechte ‚rot‘.
StGB: „Schreiben Sie an jeden Paragrafen des BT bitte einmal das geschützte Rechtsgut.“ – „Gliedern Sie den AT in seine allgemeinen und besonderen Erscheinungsformen durch „grün“ und „rot“. – „Stellen Sie mal die Deliktsarten farblich zusammen!“