Indem Sie zunächst den Studenten durch Ihr eigenes Beispiel schnellstmöglich die Angst vor „Streitereien“ in der Juristerei nehmen. Recht hat immer diskursiven Charakter. Es gibt immer Streit. Das muss so sein! Allerdings muss man in der Lehre erst das Fundament bauen, auf dem gestritten werden kann. Sonst entsteht ein „Schwindelgefühl“. Die Problemdiskussionen (mindestens 5 Streitstände in jeder Klausur oder Hausarbeit sind die Norm) sind der „Geniestreich“ des Studenten. Hier wird das Fundament für sein „Prädikat“ gelegt. Das müssen Sie ihm sagen! Und vormachen!
Die reine Darstellung der nackten Gesetzeslage genügt häufig ebenso wenig einer lebhaften Vorlesung wie der Rückgriff auf die juristische Patentformel: Es kommt darauf an. Man muss darüber hinaus die Rechtslage darlegen, die Gesetze kritisch bewerten, die Rechtsprechung hinterfragen, die Literatur herbeizitieren sowie unbedingt selbst Stellung beziehen zu einzelnen Problemen und Ansichten. Es gibt nicht immer „richtig“ oder „falsch“, sondern oft auch „vertretbar“. Dabei ist die Darstellung des Rechtsstreits im Spiegel der Meinungen von der eigenen Stellungnahme deutlich zu trennen. Es darf keine Verwischungen geben. Wichtig ist auch, dass man nicht dem falschen Glauben aufsitzt, mit einer Behauptung sei es getan. Man muss Zweifel und Fragen herausstellen. Und man muss begründen! Das erwarten die Studenten von ihrem Dozenten! Notwendig ist immer das Argument, die Begründung (lat.; arguere, deutlich machen, klar werden, erhellen, beweisen). Auch eine noch so schöne Kommentarstelle oder ein noch so schönes BGH-Zitat ersetzen nicht die eigene Begründung! Man muss der Kraft der besseren Argumente folgen, nicht der h.M.
Die Meinung des Dozenten ist bei den Studenten sehr gefragt, nicht nur die des BGH! Man muss überzeugen! Ist das Problem relevant und damit entscheidungserheblich, muss der Dozent in seiner Vorlesung erkennen lassen, dass er sich eine eigene Meinung zu dem Problem- und Streitstand gebildet hat. Er muss darlegen, warum er die eine Meinung überzeugender findet als die andere und die Gelegenheit nutzen, um ein Beispiel für gute Argumentationstechnik zu bieten. Einige gute Studenten werden nachfragen, wenn er sich ohne eigenes Argument nur einer Meinung anschießt und sich aus dem Problemfeld stiehlt. Man wird ihn stellen! Nur die Uninteressierten unter den Studenten werden ihn fragen: „Alles schön und gut! Aber welche Meinung soll ich in der Klausur bringen?“
Man sollte es in jeder Lehrreihe öfter tun: Einen juristischen Streit austragen. Stößt man also bei einem Lebenssachverhalt, einem Tatbestandsmerkmal oder bei einem Systemproblem auf ein hohes Hindernis, muss man das Rechtsproblem zunächst fokussieren, herausschälen und präsentieren, indem man mit seinen Studenten nun erörtert, warum gerade hier etwas streitig ist. Sie werden ihnen klarmachen, dass sich in einem solchen Fall immer mindestens zwei Ansichten finden lassen, die sich widersprechen; oft kommt noch die „berühmte“ dritte, vermittelnde Meinung hinzu (objektive Theorie; subjektive Theorie; gemischt-objektiv-subjektive Theorie). Die Probleme entstehen fast immer an oder auf den definitorischen Grenzen der Begriffe oder Tatbestandsmerkmale. Hier herrscht das Chaos! Aus dem aber nicht selten neue juristische Sterne geboren werden.
Hat man es mit zahlreichen unterschiedlichen Meinungen zu tun, sollte man diese dann bündeln und zusammenfassen. Zwei Wege der Darstellung bieten sich an:
Meinung 1, 2, 3 … Argumente A, B, C
Meinung 4, 5, 6 … Argumente D, E, F
Problem 1 … Meinung 1, 2, 3 … Argumente A, B, C
Problem 2 … Meinung 4, 5, 6 … Argumente D, E, F
Die Argumente sollten nach ihrer Überzeugungskraft angeordnet werden. Auch hier bieten sich zwei Wege der Darstellung an:
Zu empfehlen ist es, mit starken Argumenten zu beginnen und die schwächeren im Schatten der Eingangsargumentation folgen zu lassen. Gut ist es, wenn man die Argumente der Gegenseite abtun kann als:
Geschickt ist es, jeweils einem Pro-Argument das passende Contra-Argument entgegenzustellen, statt die Pro- und Contra-Argumente en bloc zu präsentieren, da die Aufnahmefähigkeit und das Erinnerungsvermögen der Studenten nun einmal begrenzt ist.
Man muss die eigene Ansicht unbedingt von dem eigentlichen Meinungsstreit als eigene selbständige Stellungnahme trennen. Man stellt das Problem dar, gibt den Meinungsstreit wieder und bezieht Stellung.
So könnte es klappen:
Ihren Studenten müssen Sie beibringen, wie sie sich in ihren Klausuren an die Meinungsstreite heranpirschen müssen und sie darstellen sollten.
Bis zu fünf Mal wird der Student im Regelfall „stolpern“ in seiner Klausur und wieder bei Punkt fünf beginnen und sich bis Punkt acht durchstrampeln müssen. Aber ein Meinungsstreit bedarf in einer Klausur nur dann der Entscheidung, wenn die verschiedenen Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Auch setzen umfangreiche Erörterungen zu Streitständen, die nicht ergebnisrelevant sind, in schriftlichen Arbeiten falsche Schwerpunkte. Die Studenten müssen die Gewichte angemessen verteilen und lernen, zwischen Feststellung und Gutachtenstil zu unterscheiden und zu pendeln. Die größten Feinde in einer Klausur sind die fünf U: das Unlogische, das Unwichtige, das Überflüssige, das Unerhebliche und das Unwesentliche. Daran sollten Sie die Studenten immer mal wieder erinnern! Und nicht relevante Streitdarstellungen und Entscheidungen bei Meinungen mit gleichen Resultaten sind eben überflüssig, unwesentlich und unwichtig.