6. Frage

Wie finde ich als Juradozent schnell zu meinem eigenen Lehrstil?

Indem Sie sich in diesem Moment klarmachen, dass Sie Ihr juristisches Wissen mit vielen teilen, Ihren Dozentenstil aber für sich allein haben und dieser Stil Sie als Dozentenpersönlichkeit unverwechselbar macht. Also müssen Sie ihn möglichst schnell finden. Ihr Stil ist die Physiognomie Ihrer Lehrkunst!

 

Die Frage nach dem Lehrstil ist die Frage nach Ihnen, dem Jura-Dozenten. Sind Sie ein Verpackungskünstler? – Ein Schauspieler im Hörsaal? – Ein Gestalter digitaler Visualisierungen? – Ein Rechtsgelehrter oder ein Rechtslehrer? – Ein Monologisierer oder ein Dialogisierer? Von allem ein bisschen? Aber im wesentlichen muss der Dozent diejenige Person sein, die den Studenten durch Lehren beim Erlernen von Recht und Gesetz hilft, ihnen ein Maximum an juristischem Wissen und juristischen Kompetenzen verschafft, eine gelungene Berufsvorbereitung ermöglicht und an den Unis wissenschaftliche Talente identifiziert und fördert.

 

Der Philosoph Wittgenstein sagte: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ Man wage, den Satz didaktisch aufzupolieren: „Die Grenzen meines Lehrstils sind die Grenzen meiner Lehre“.

Jeder Dozent lehrt in seinem individuellen Stil, seiner unverwechselbaren Authentizität. Deshalb kann man auch keine Verhaltensschablonen geben, die den Reichtum des individuellen Dozenten zerstörten, sondern mehr eine vielleicht anregende  Dozentenempfehlung, eine Sensibilisierungshilfe. Eben: Alles keine Rezepte, alles nur Optionen für Sie.

 

Während seines didaktischen Professionalisierungsprozesses sollte man als Dozent möglichst schnell seinen eigenen „Typus“, seinen eigenen „Stil des Lehrens“ finden. Die Studenten erkennen blitzschnell, ob eine selbstsichere Dozentenpersönlichkeit mit eigenem Stil vor ihnen steht oder ein „schwankendes Rohr im Winde“. Die Ausstrahlung, die ein Dozent besitzt, wird von den Studenten spontan und intuitiv nach wenigen Minuten wahrgenommen.

 

Die traditionelle Machtposition des „göttlichen“ Dozenten als allwissender, alleskönnender, allmächtiger, meist willkürlich lehrender Mensch müsste eigentlich längst geschleift sein. Schaut man aber in die Juralehrsäle, stellt man traurig fest: Ist sie aber nicht überall. Immer noch tritt so mancher Jura-Dozent mit einer qua Amt geliehenen irrationalen Autorität auf, als einer, der ständig mit „der Klausur“ droht, der lediglich ein „Angebot“ an die Studenten macht, dessen „Annahme“ ihm aber ziemlich egal ist. Autorität beruht auf Kompetenz, nicht auf Macht qua Amt. Auch der sich anbiedernde, auf Gleichrangigkeit im Du – zu – Du – Stil ausgehende Dozent müsste ausgedient haben. Studenten lernen zwar gern auch von Gleichgestellten, aber diese müssen dann auch wirklich gleichgestellt sein und nicht nur so tun als ob. Von seinen Kommilitonen erwartet er Austausch und Partnerarbeit auf Augenhöhe, nicht aber von seinen Dozenten. Ein Anbiedern der Dozenten an die Studenten verhindert geradewegs den Lernerfolg.

 

Um über den Stil eines „dozierenden“ Juristen eine vorläufige Bewertung anzustellen, ist es nicht unbedingt notwendig zu wissen, was er doziert, sondern zunächst ist es hinreichend zu wissen, wie er doziert. Till Eulenspiegel gab dem Fragenden, wie lange er bis zum nächsten Ort noch zu gehen habe, die scheinbar unsinnige Antwort: „Gehe!“, in der wohl überlegten Absicht, erst aus seinem Gang zu ermessen, wie weit er in einer gegebenen Zeit kommen würde. So kann man von einem Dozenten ein paar Sätze hören und weiß dann schon ungefähr, wie er seine Studenten das „Was“ lehren kann. Von diesem „Wie“ seines juristischen Dozierens ist ein genauer Abdruck sein Stil. Dieser Stil zeigt seine dozentische Fähigkeit. Beobachtet man ihn – den Stil ‑, hat man gleichsam den didaktischen Teig, aus dem er alle seine juristischen Lehr-Gestalten sticht, so verschieden sie auch sein mögen.

 

Viele, gerade junge Dozenten denken leider oft mehr über die Inhalte aus fremden Büchern und Skripten nach, über das, was andere so „Kluges“ geschrieben oder gesagt haben, sowie über andere Dozentenpersönlichkeiten und deren vielleicht nachahmenswerte Stile, als über ihren eigenen persönlichen Stil. So bleiben sie manchmal unter dem Einfluss fremder Gedanken, im Schatten anderer Persönlichkeiten und Schreibwerke, erlangen folglich selten eigentliche Originalität in der Darbietung der juristischen Dinge und ihrer ureigenen Dozentenpersönlichkeit. Sie nehmen den Stoff unmittelbar aus fremden Büchern und Köpfen und kupfern fremden Stil ab. Aus fremdem Kopf geht der Stoff so in die Vorlesung, ohne im eigenen Kopf didaktische Bearbeitung oder in der eigenen Person zumindest hinhaltenden Widerstand erlitten zu haben. Da die Bücher, Köpfe und Personen, aus und von denen kopiert wird, oft ebenso abgekupfert haben, ist es mit den Darbietungen dieser Kollegen wie mit der Fotokopie von der Fotokopie von der Fotokopie, bei der der Inhalt am Ende zum kaum noch erkennbaren mausgrauen Umriss verkommt. Daher ist eben die Vorlesung solcher Dozenten oft so unbestimmt, dass der lernende Studentenkopf sich seinen Kopf zerbricht, was jener dozentische Kopf wohl in seinem Kopf für seinen lernenden Studentenkopf gemeint haben könnte.

 

Gefordert ist stets Ihre eigene persönliche Originalität! Fremden Stil in der Lehre nachzuahmen, heißt, eine Dozenten-Maske zu tragen. Wäre diese auch noch so schön, so wird sie durch das Leblose für die Studenten bald fade und unerträglich, so dass selbst ein unschönes, aber lebendiges Dozenten-Gesicht besser ist. Man sollte sich von Anfang an vornehmen, keinen gekünstelten kopierten Stil zu pflegen, sondern seinen eigenen zu prägen.

 

Die mittelmäßigen Dozenten können sich leider oft nicht entschließen, so zu lehren, wie sie sind, weil sie meinen, dass alsdann ihre Lehrstunde ein einfältiges Ansehen erhalten könnte. Eine solche wäre aber immerhin noch etwas eigenes, und sie wirkten in der ihnen angemessenen Sphäre sogar noch authentisch. Der Dozent ginge noch seinen natürlichen Gang, so stolpernd er auch ginge. Stattdessen putzen sie sich auf und streben nach dem Schein, ganz anders zu sein, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Das nötigt sie leider, auf ihre Natürlichkeit und Naivität zu verzichten. Sie bringen deshalb das, was sie zu lehren haben, in gezwungenen schwierigen Wortwendungen und verhüllenden Persönlichkeitsverdrehungen vor. Sie schwanken zwischen dem Bestreben, sich plusternd zu präsentieren und dem, sich ängstlich zu verstecken. Sie möchten sich aufstylen, damit die Studenten denken sollen, es steckten viel mehr didaktisches Können und juristische Tiefe dahinter, als man zur Zeit gewahr wird. Sie werfen ihre Gedanken manchmal nur stückweise hin in vieldeutigen, sprachlabyrinthischen Aussprüchen, die vielmehr anzudeuten scheinen, als sie besagen. Manchmal begraben sie ihre juristischen Inhalte auch unter einem narkotischen Schwall von komplexen Worten so, als brauche es wunder welches Könnens, den tiefen Sinn derselben verständlichzumachen. Kurz: Alle solche Bemühungen dienen nur dazu, ihre Demaskierung hinauszuschieben, sich zu versteifen und zu verbeißen in etwas, was man nicht ist.

 

Sie sollten nicht bestrebt sein, schlechtes Dozieren für gutes zu verkaufen, um den Schein des gekonnten juristischen Lehrens hervorzubringen. Belustigend ist es zu sehen, wie zu dem Zweck, den schmerzlich gefühlten Mangel fehlenden eigenen Stils zu ersetzen, bald mal diese, bald mal jene Lehrart versucht wird, bald dieser, bald jener Dozentenstil kopiert wird, um ihn als Verkleidung zu tragen und die Lernenden kurzzeitig zu täuschen, bis auch sie diese kopierenden Dozenten als solche durchschauen. Dabei hält am längsten die „Maske der juristischen Unverständlichkeit“ vor, weil kaum einer der Studenten hinter diese (Vorsicht: Wortprozession!) hochtrabend-gelehrten-abstrakt-schwerfälligen-kleinkauenden-gestelzten-komplexen juristischen Wortbarrikaden zu schauen vermag. Und doch ist nichts leichter, als so zu dozieren, dass kein Student es versteht, wohingegen nichts schwerer ist, als bedeutende juristische Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss!

 

Jeder Dozent sollte sich hüten vor dem sichtbaren Bestreben, „mehr Dozent“ zeigen zu wollen, als er ist. Denn dieses Bemühen weckt sehr schnell den Verdacht, dass er sehr wenig Talent zum Dozieren hat, da man immer nur das imitiert, was man nicht selbst besitzt. Deshalb ist es ein Lob, wenn man einen Dozenten natürlich (naiv) nennt, weil es besagt, dass er so lehrt, wie er ist. Überhaupt zieht das Natürliche beim Dozieren die Studenten an, die Unnatur schreckt sie überall ab. Die Natürlichkeit des Dozierens bleibt das Privileg des überlegenen, mit sich identischen und sich selbst sicher fühlenden Dozenten.

Die Individualisierung des juristischen Lehrens im eigenen Lehrstil ist schwer zu erreichen, da sie von zahlreichen Faktoren, Lehrtechniken und Rahmenbedingungen abhängig ist, über die der Dozent nicht immer eigenständig bestimmen kann.

 

Zum einen sind es die äußeren Rahmenbedingungen, die Einfluss auf seinen Lehrstil haben.

  • Da es die primäre dozentische Aufgabe ist, seinen Studenten die Juristerei oder Teile davon so beizubringen, dass sie dadurch in den Stand gesetzt werden, an dieser über Jahrhunderte gewachsenen Rechtskultur in unserer Gesellschaft als emanzipierte, mündige juristische Persönlichkeiten teilzuhaben, ist jeder Lehrstil geprägt von unserer Gesellschaftsform und unserer justiziellen Kultur. Diese repräsentiert man als Lehrender und in diese sollen die Lernenden durch den Dozenten hineinwachsen. Jeder Lehrstil ist folglich gesellschafts- und justizkulturgeprägt.
  • Zu den äußeren Rahmenfaktoren gehören auch die vom Dozenten nicht zu beeinflussenden mehr freien oder mehr gängelnden Strukturen seiner Lehrinstitution, ob nun Universität, Fachhochschule, Gymnasium, Realschule, Hauptschule oder Berufsschule, Arbeitsgemeinschaft oder Begleitunterricht. Diese Faktoren erzeugen immer ein spezifisches Binnenklima und beeinflussen dadurch unwillkürlich, fast instinktiv seinen Lehrstil.
  • Daneben begünstigen oder strangulieren sein curricularer Lehrplan und die Teilnehmerzahlen einen eher monologisch-vortragenden oder mehr dialogisch-entwickelnden Lehrstil.
  • Schließlich beeinflusst sein Adressatenkreis seinen Lehrstil in Niveau und Tempo, da es entscheidend davon abhängt, ob er studentische Anfänger, Fortgeschrittene oder Examenskandidaten lehrt.

 

Zum anderen sind es die inneren Rahmenbedingungen, die den dozentischen Lehrstil prägen:

 

  • seine Geschlechtszugehörigkeit (biologische Dimension),
  • seine lebensgeschichtliche Entwicklung, seine persönliche und berufliche Vita, sein Alter (biografische Dimension),
  • sein Fachwissen (kognitive Dimension),
  • seine Wahrnehmungsfähigkeit, die die sinnliche Seite seines Lehrstils unterstreicht; genaues Hinsehen, genaues Zuhören, empfindsames Einfühlen sind beim Lehren mehr oder weniger beteiligt (ästhetische Dimension),
  • seine emotionale Gestimmtheit; jede Lehre ist auch „Gefühlsarbeit“ (Passion, Dumpfheit, Angst) (emotionale Dimension),
  • sein Verantwortungs- und Gerechtigkeitsgefühl, zentriert in seinem „Dozenten-gewissen“ (moralische Dimension),
  • seine Kommunikationsfähigkeit. Diese macht den Lehrstil im engeren Sinne aus. Durch bestimmte Mittel (ganz einfaches Beispiel: Lob und Tadel) sollen bestimmte Zwecke im Sinne von Wirkungen erzielt werden. Die Kommunikation vermittelt zwischen seiner Absicht und den zu erreichenden Wirkungen (kommunikative Dimension). Dabei ist zwischen zwei Arten zu unterscheiden: die rein kommunikative Lehrtechnik bezieht sich auf den persönlichen Umgang zwischen Dozent und Lernendem (der Dialog mit all seinen verbalen und nonverbalen Varianten) und die kommunikativ-dingliche Lehrtechnik, unter der der technische Mitteleinsatz (Medien) zu verstehen ist.
  • Sein Selbstverständnis und Selbstwertgefühl als zentrale Elemente seines Selbstbildes, das er von sich hat und mit dem er lehrt, sind überragende innere Prägemerkmale seines Lehrstils (souveräne Dimension).

Entscheidend hängt aber der Lehrstil von der Persönlichkeit des Dozenten ab. Sie bestimmt seine Grundhaltung gegenüber seinem Tun und gegenüber „seinen“ Studenten. Handelt es sich für den Dozenten beim Lehren um einen Job, den man, einmal glücklich erworben, (bis zur Pensionierung) durchzieht oder ist es für ihn eine tägliche positive und emotionale Herausforderung? Die Persönlichkeit bestimmt zudem Art, Auswahl, Durchführung und Vorbereitung der Lehrthematik. Entscheidend bestimmt die Persönlichkeit aber, wie sich der Dozent gegenüber den Studenten verhält: kompetent, vertrauenswürdig, feinfühlig, natürlich autoritär, stress- und angstdämpfend, gerecht, zuverlässig und studentenzugewandt. Oder: inkompetent, nicht vertrauenserweckend, grob, amtsautoritär, stress- und angstschürend, ungerecht, unzuverlässig und studentenabgewandt.

 

Wissen Sie eigentlich schon, was für ein Dozententyp Sie sind? Nein? – Dann müssten wir zunächst einmal einige „Paradigmen“ in ihren Merkmalen und Auswirkungen ganz grob kennenlernen, bevor ich Ihnen im nächsten Beitrag die Dozentenprototypen genau vorstelle.

 

  • Zunächst begegnen wir dem irrational autoritären Dozenten!

Seine Merkmale: Er übt Macht und eine strikte Kontrolle über „seine“ Studenten aus; er will zu „seinem Ziel“ führen; er gibt Anordnungen ohne Begründungen; er gängelt die Studenten; er überwacht streng die Durchführung seiner Anweisungen; er praktiziert eine imperative Haltung zur Gruppe; er behält die Initiative fast vollkommen in der Hand; er tadelt die Studenten bis zur verletzenden Form; er lässt Vorschläge scheinbar zu, entscheidet aber letztlich immer selbst; es ist eine Als-ob-Kollegialität; er bezieht alle Vorgänge auf seine Person; er lässt Kritik kaum zu und ist schnell beleidigt.

 

Die Auswirkungen des autoritären Stils sind folgende:

Die Leistung der Studenten ist zunächst zwar beeindruckend, der Dozent schafft viel Stoff in kurzer Zeit, später tritt aber ein Leistungsabfall ein; er erzeugt wenig Motivation, dafür Spannungen mit zunehmender Tendenz; es herrscht eine Atmosphäre der Angst, Beklemmung, Gedrücktheit; er bewirkt eine passive Konsumhaltung, wenig Eigenständigkeit und Selbständigkeit. Ein Ansteigen von Aggressionen gegenüber dem Dozenten, gegenüber anderen Teilnehmern, gegenüber Personen außerhalb der Gruppe ist zu beobachten. Die Studenten zeichnen sich durch wenig Ideen und Originalität der Beiträge aus. Bei ihnen fehlt die Bereitschaft zur Kooperation, das „Ich“ herrscht vor dem „Wir“, ein Konkurrenzverhalten und ein Wettbewerb untereinander und um die Gunst des Dozenten setzen ein. Die Studenten lernen, sich unter Druck angepasst zu verhalten (Geschmeidigkeit). Eine Behinderung der Selbstbestimmung, Selbstwerdung und Selbstverwirklichung der Studenten wird ausgelöst, ein Anlernen von Autoritätsgläubigkeit und eine Unterdrückung von Zivilcourage. Es herrscht eine Scheindemokratie, mehr Abrichtung als Aufrichtung wird konditioniert. Es ist alles andere als das Führen zur juristischen Mündigkeit.

 

  • Daneben kennen wir den Laissez-faire-Dozenten!

Seine Merkmale: Er legt ein passives Leiterverhalten an den Tag; er lässt alles laufen; es herrscht eine Nachgiebigkeit ohne gezieltes Eingreifen; es ist ein Missverstehen demokratischen Dozentenverhaltens; es ist die Gleichgültigkeit des Dozenten aus Resignation oder übersteigerter Icheinschätzung oder zur Tarnung seiner feindlichen Einstellung gegenüber der Gruppe; er hat erhebliche Kontaktschwierigkeiten.

 

Die Auswirkungen des Laissez-faire-Stils sind Folgende:

Bei den Studenten herrschen Ratlosigkeit und Unsicherheit; es ist eine allmähliche Verwahrlosung der Gruppe festzustellen; der Zerfall der Gruppe droht; es herrschen Rivalitäten und Cliquenbildung vor; es tritt sehr rasch eine Fraktionierung  innerhalb der Gruppe ein; die Studenten fühlen sich nicht ernstgenommen; es löst mitmenschliche Beziehungen auf; die Studenten wünschen vermehrt autoritären Führungsstil.

 

  • Zum Schluss lernen wir noch den sozialintegrativen-partnerschaftlichen Dozententyp kennen!

Seine Merkmale sind: Der Dozent behält weitgehend die Führung, er gibt Hilfe, Informationen und Verstärkungen, um den Studenten das Lernen zu ermöglichen; er operiert vor gutem didaktischem Hintergrund durch behutsame Lenkung, bis die Studenten eigenverantwortlich sich selbst führen können; er strahlt eine rational begründete Autorität aus aufgrund seiner Kompetenz; er regt zur Eigentätigkeit an, fordert kreatives Verhalten; er trägt gemeinsam mit den Studenten Sorge um ein entspanntes, angstfreies Klima; er geht auf Wünsche und Probleme der Studenten ein; er wirkt integrativ; er lockert durch Humor auftretende Spannungen; er leitet die Studenten an, dynamische Prozesse, ausgelöst durch Störungen, selbst zu verarbeiten; er hat eine Fragehaltung zu den Studenten und bleibt reaktiv; er animiert die Studenten zur Initiative; er hört zu und leitet auch die Studenten an, aufeinander zu hören, abweichende Meinungen gelten zu lassen, tolerant zu sein; er weist darauf hin, dass die Kommilitonen ebenfalls hervorragende Lehrmeister sind; er stellt Probleme, nicht immer gleich fertige Lösungen zur Diskussion; Vorschläge bietet er als Alternativen an; er zeigt Sensibilität gegenüber den Studenten als gleichwertige Partner; er steckt eigene Interessen zurück um anderer Willen; er hat aber auch den Mut, eigene Ansichten zu vertreten, ohne damit die Gruppe zu bedrängen.

 

Die Auswirkungen des kooperativen Stils lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Es herrscht überwiegend eine sachliche Atmosphäre; es entsteht ein wachsendes Wir-Gefühl der Gruppe; dieser Stil regt die spontane Aktivität der Studenten an; er erhöht die Sprechbereitschaft aller Studenten, bewirkt eine entscheidende Verringerung des Kontrolldrucks und motiviert das Vorbringen auch eigener nonkonformistischer Vorschläge; er erzeugt ein hohes Maß an Selbständigkeit auch bei Abwesenheit des Dozenten; er schafft eine Atmosphäre angst- und stressfreien Lernens; die Studenten lernen, kooperativ zu arbeiten, aufeinander einzugehen; die Studenten fühlen sich wohl, ihre Zufriedenheit wächst; ihre Motivation wird durch wohltemperiertes Lernklima und ständiges Feedback individuell verstärkt und stabilisiert; die Studenten können sich profilieren hinsichtlich der Leistung und der sozialen Verhaltensweisen; er wirkt auf eine Persönlichkeitsbildung hin und erreicht so die erstrebte Mündigkeit.

 

Man sollte sich als Dozent Gedanken darüber machen, zu welchem Dozentengrundtyp man grob gehört oder neigt. Man sollte sich einmal selbst einschätzen! Man sollte versuchen, seine Persönlichkeitsmerkmale zu analysieren und dann seinen Idealtyp anzustreben. Aber nochmals: Man sollte nie versuchen, einen Anderen zu kopieren. Das wird böse enden! Die Studenten merken sofort, ob man echt oder unecht ist. Übrigens: Den „reinen“ Dozententyp gibt es selten, vorherrschend sind die Mischungen. Am besten ist es, eine maximale Wertschätzung der Studenten und eine mittlere Direktivität anzustreben. Nichts anderes besagt der „sozialintegrative-partnerschaftliche“ Lehrstil.

 

Ihre Zwischenfrage nehme ich vorweg: „Spielt denn die Autorität gar keine Rolle?“

 

Sicher! Es ist eine Verfälschung der Realität, dass sich Student und Dozent auf Augenhöhe begegnen könnten. Die hochsensible Beziehung zwischen Student und Dozent ist auch auf Autorität gegründet. Autorität ist nun aber keine Eigenschaft, die einer „hat“ wie Eigentum, Kraft, Wissen. Autorität bezieht sich auf eine zwischenmenschliche Beziehung, bei welcher der eine den anderen auf Grund von Macht oder  von Leistung anerkennt und als ihm überlegen betrachtet. Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen

  • einer die Studenten fördernden Überlegenheits-Unterlegenheits-Beziehung (partizipative oder rationale Autorität), die auf Kompetenz beruht,
  • und einer die Studenten hemmenden Beziehung, wie – man entschuldige den krassen Vergleich – zwischen ehemaligem Sklavenhalter und Sklaven (repressive oder irrationale Autorität), die auf verliehener Macht basiert.

 

Beide gründen sich zwar auf die Überlegenheit des Dozenten gegenüber den Studenten, unterscheiden sich aber in dreifacher Hinsicht ganz wesentlich.

 

  • Zunächst unterscheiden sich die Interessen. Bei der partizipativ-rationalen Autorität geht das Interesse von Dozent und Student in die gleiche Richtung. Der Dozent ist zufrieden, wenn es ihm gelingt, seine Studenten in ihren geistigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu fördern. Er lehrt, um den Nutzen seiner Studenten zu mehren. Gelingt es ihm nicht, dann ist er genauso gescheitert wie der Student. Dagegen möchte der „Sklavenhalter“ den „Sklaven“ in der repressiv-irrationalen Autoritätsform nur ausbeuten. Er lehrt, um ausschließlich seinen eigenen Nutzen zu mehren. Während ersterenfalls die Bestrebungen gleich verlaufen, da der Vorteil des Dozenten (sein Lehrerfolg) gleich dem Vorteil des Studenten (sein Lernerfolg) ist, laufen die Interessen im zweiten Fall zweifellos zuwider, da der Vorteil des einen (Scheinlehrerfolg) der Nachteil des anderen ist (Lernmisserfolg). Man muss also immer die Interessen auszugleichen versuchen!
  • Auch die Dynamik der Autoritäten ist in beiden Fällen eine andere. Je mehr der Student lernt, desto schmaler wird die Kluft zwischen ihm und seinem Dozenten. Er wird dem Dozenten fachlich immer ähnlicher. Mit anderen Worten, die fördernde, rationale Autoritätsbeziehung zeigt die Tendenz, sich möglichst rasch aufzulösen. Dient dagegen die irrationale Überlegenheit der Selbstgefälligkeit, dem Narzissmus oder der Ausbeutung wird der Abstand nie kleiner, sondern immer größer. Man muss den anfänglichen Graben zwischen sich selbst und seinen Studenten möglichst bald zuzuschütten versuchen!
  • Schließlich ist die psychologische Situation in beiden Autoritätsbeziehungen unterschiedlich. Bei der partizipativen Autorität sind Respekt, Verehrung, Bewunderung, Vertrauen und Dankbarkeit die vorherrschenden Gefühle. Der Dozent ist gleichzeitig ein Vorbild, mit dem man das eigene Selbst ganz oder teilweise identifizieren möchte. Bei der repressiven Autorität entstehen Ressentiment, Misstrauen und Feindseligkeit gegen den Ausbeuter, da die Unterordnung den eigenen Interessen zuwiderläuft. Man muss sich ständig neu bemühen, kein „Sklavenhaltertyp“ zu sein!

 

Es ist meine feste Überzeugung, dass sich die Autonomie der Studenten nur im Zusammenspiel mit partizipativ-autoritären Dozenten entwickeln kann. Die repressiv-irrationale Autorität sollte ausgedient haben, hat sie aber noch nicht überall.

 

Zwei große Unterscheidungen stehen meines Erachtens über allen Lehrstilen:

 

  1. Ist man als Dozent mehr ein „Strukturierer“ oder eher ein „Dynamiker“?
  • Merkzeichen der Strukturierer: Er hat immer denselben Dozentenhut auf.

Klare Regeln, Beständigkeit, keine Absprachen, gewisse Sturheit, Rituale, Rhythmus, Zielorientierung, folgenrichtiges Prozedere, keine Abweichungen, rhetorische Steifigkeit, strategische Planung, straffe Organisation, alles auf Dauer angelegt, Eindeutigkeit, klares Zeitbewusstsein, Typ Kontrolletti, atmosphärische Schwere.

Vorteil: Aus der Rollenfestigkeit wächst Klarheit und Festigkeit für die Studenten.

Nachteil: Es wächst die Gefahr, in Richtung Gleichgültigkeit gegenüber den Studenten zu missraten.

 

  • Merkzeichen der Dynamiker: Er wechselt oft den Dozentenhut.

Prozessbewusstsein, Lebendigkeit, Innovation, Flexibilität, lässt Entwicklungen, Improvisationen und Kreativität zu, Humor, Mobilität, auf Wechsel angelegt, alte Zöpfe auch mal abschneiden, atmosphärische Leichtigkeit.

Vorteil: Aus der Rollenbeweglichkeit wächst Spannung und Motivation.

Nachteil: Es besteht die Gefahr, in Richtung didaktisch ignorantem Gutmenschen abzustürzen, der nur auf die „Natur“ und „Ursprünglichkeit“ vertraut und in didaktischer Abstinenz verharrt.

 

  1. Die wichtigste, alle anderen überragende und umfassende Unterscheidung ist aber die zwischen Nähe und Distanz, die man durch Integration versuchen sollte aufzuheben.
  • Die Merkzeichen der Nähe: Kontakt, Amateurismus, Empathie, Wertschätzung, Menschlichkeit, Dialog auf Augenhöhe, partnerschaftliches Miteinander.

Die Gefahr der Nähe: Angst vor Abhängigkeit, Laberheini, es „menschelt“ immer und überall, konfliktscheu.

 

  • Die Merkzeichen der Distanz: Professionalität, Rollenklarheit („ich“ habe den Dozentenhut an), Fähigkeit zur Abgrenzung, keine Scheu vor allfälligen Konflikten, Bereitschaft, auch Frustrationen zuzumuten, keine Ächtung von Autorität

Die Gefahr der Distanz: Angst vor Isolation und Ungeliebtsein

 

  • Die Merkzeichen der Integration: Ein „Sowohl-als-auch“ statt eines „entweder-oder“, um beide Eigenschaften seiner Persönlichkeit entsprechend in Einklang zu bringen, Nähe und Distanz auszutarieren. Meist ist man allerdings auf dem einen eigenen Pol mehr zu Hause als auf dem gegenüberliegenden fremden.

 

  • Die Untersuchung zwischen Nähe und Distanz sollte man versuchen durch Integration aufzuheben.

 

Versuchen Sie einmal Nähe mit Distanz, Struktur mit Dynamik, Autorität und Strenge mit Partnerschaft und Lebendigkeit in die Balance zu bringen und Sie wissen, wie schwer es ist, ein guter Dozent zu sein und zu werden.