1. Frage

Was hat ein didaktisch guter Juradozent, was andere nicht haben und was kann er, was die anderen nicht können?

Mit einem Satz: Der didaktisch gute Juradozent beherrscht die „Kunst des juristischen Lehrens“. Er gestaltet die Beziehungen zu seinen Studenten, wie die schlechten sie nicht gestalten und lehrt, wie die schlechten nicht lehren. Hier gleich einige Erfolgsfaktoren guter juristischer Hochschullehrer:

 

  • Der gute Jura-Dozent weiß: Es gibt kein Geheimnis des juristischen Lehrens. Es gibt nur Juradozenten, die sich um juristische Didaktik nicht genug bemühen.

 

  • Der gute Jura-Dozent weiß, dass er als Dozent nicht einfach nur vorgeben darf, was seine Studenten wie-wann-wo zu lernen haben, er sie vielmehr für sein juristisches Lehr-Lern-Angebot „passionieren“ muss. Er ist mit seinem juristischen Fach emotional, passioniert und begeistert verbunden. Er verfügt über ein weites Repertoire an Lehr- und Lernmethoden, die er ständig variiert. Er weiß, dass, wer gut lehren will, etwas vom Lernen verstehen muss, dass Didaktik die Lehre vom Lehren „und“ Lernen ist.

 

  • Der gute Jura-Dozent nimmt den Adressaten seiner Lehrkunst die Verantwortung für ihr eigenes Lernen niemals ab. Er weiß, dass die neue Jura-Welt in jedem seiner Studenten völlig neu und einzigartig nur durch ihn selbst entstehen kann. Er weiß, dass er sie nur lehren, nicht aber lernen-machen kann.

 

  • Der gute Jura-Dozent führt seine Studenten aus ihrer anfänglichen ängstlichen Passivität zu mutiger Aktivität. Er stellt eine Gemeinschaft her – „Sie“, „Ich“, „Wir“! Dies geht nur im Zusammenspiel von seinem Lehren und ihrem Lernen, anders nicht. Er entwickelt eine persönliche, „emotionale“ Beziehung zu seinem Gegenüber. Es sind „seine“ Studenten und nicht „die“ Studenten.

 

  • Der gute Jura-Dozent macht seinen Studenten von Anbeginn an klar, dass das, was er fördert und fordert, was er von ihnen verlangt und ihnen abverlangt, niemals ein Drangsalieren oder Schikanieren, sondern immer nur ein Handeln zu ihrem eigenen Vorteil ist. Er strebt an, seine Studenten mit Vertrauen zu seinen Verbündeten zu machen, indem er ihnen zeigt und beweist, dass sie mit ihm mehr über die juristische Welt lernen und verstehen, begreifen und erkennen als ohne ihn.

 

  • Der gute Jura-Dozent ahnt, dass nirgendwo der Satz besser seine tiefe und immer wieder freud- und hoffnungsvolle Weisheit offenbart als beim Juralehren: „Scheitern, wieder scheitern, besser scheitern!“ Man kommt als Dozent fort, aber nie an! Denn er weiß: Alles ist nicht zu vermitteln! Nicht jeder begreift! Einige werden das Studium vorzeitig beenden! Und dennoch: Der gute Dozent versucht, den juristisch Lernenden nicht immer, aber immer häufiger das Wohlgefühl und das Vergnügen zu vermitteln, das der Körper dem Geist beim Verstehen, Begreifen und Erkennen von Jura verschafft!

 

  • Der gute Jura-Dozent weiß, dass ein Dozent, der die lichterlohe Freude an der Juristerei an einem einzigen Fall oder Rechtsinstitut wecken kann, mehr leistet als einer, der 1000 juristische Begriffe oder Normen dem Namen oder der Form nach kompliziert vermittelt.

 

  • Der gute Jura-Dozent weiß, dass es eine wichtige und vornehme Aufgabe für ihn ist, von Anfang an und dann immer und immer wieder seine Lernenden zu lehren, sich selbst fortzuhelfen in der Anwendung neuer Gesetze, von Gutachten und Subsumptionen und im Lösen unbekannter Fälle. Deshalb ist für ihn im Anfangssta(u)dium das „Wie soll der Lernende juristisch denken und arbeiten“ wichtiger als das „Was soll er denken und arbeiten“. Folglich lehrt er Methodik zum juristischen Denken und Arbeiten vor dem Wissen.

 

  • Der gute Jura-Dozent weiß: Juristisches Lehren heißt, die juristischen Dinge zweimal zu lernen: Einmal im Studium für sein Examen und einmal vor seinem jeweiligen dozentischen Einsatz. Er weiß auch: Das zweite Mal ist schwerer.

 

  • Der gute Jura-Dozent weiß, dass man zum Dozieren geboren sein kann (selten), aber eigentlich nicht geboren sein muss. Man kann es lernen, wie ein Handwerker!

 

  • Der gute Jura-Dozent versucht, gerade am Anfang seiner Lehrreihe, durch eine zugeneigte, heitere und aufbereitete, auch Unnützliches und Humoriges einschließende Präsentation sein Wissen aufzubieten, um gerade im Anfang die Lernwilligen anzulocken.

 

  • Der gute Jura-Dozent geht immer nur vom Einfachen zum Komplexen, vom Einschichtigen zum Vielschichtigen, vom Konkreten zum Abstrakten, vom Nahen zum Fernen – nie umgekehrt.

 

  • Der gute Jura-Dozent stellt sich vor jeder Lehreinheit immer wieder die vier Fragen: „Woher komme ich?“ – „Wo stehe ich heute?“ – „Wohin will ich?“ – „Was will ich vermitteln?“ – Es gibt für ihn keine juristische Zukunft ohne juristische Herkunft. Er zeigt seinen Adressaten deshalb auch immer auf, woher er kommt und wohin er unterwegs ist.

 

  • Der gute Jura-Dozent täfelt in eingestreuten Zusammenfassungen seinen konkreten Lehrstoff immer wieder in das abstrakte „System Jura“ ein! Er weiß: Der Juristerei ist als System das System systemimmanent. Das macht er transparent. Sein Weg führt immer über die „Seziertechnik“ und die „Baumdiagrammmethode“ ins didaktische Ziel(s.u.)! Er offenbart die juristischen hierarchischen Systeme hinter dem Wissen. Er sieht das Kleine im Großen der Juristerei und das Große im Kleinen. Er demonstriert nicht nur juristisches Wissen, sondern zeigt immer auch die Stelle im „System Jura“ und … die Anwendung des Wissens.

 

  • Der gute Jura-Dozent ist sich so sicher: Es steht (fast) alles im Gesetz! Das Gesetz ist das Zentralgestirn, um das all sein Lehren kreist. Es liegt immer vorbildhaft einsprungbereit vor ihm. Er weiß: Nur das Gesetz verfügt über die notwendige Authentizität – Schreibwerk und Dozentenwerk sind nur Beiwerk. „Mag mein dozentischer Geist auch noch so hoch fliegen, so muss er sich doch immer wieder auf dem Boden des Gesetzes seine Nahrung suchen.“

 

  • Der gute Jura-Dozent kennt den Spruch meiner Großmutter: „Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache immer die Hauptsache ist.“ Die Einsicht in das juristisch Wesentliche und Unwichtige ist das, was den guten Jura-Dozenten im Lehren vom mittelmäßigen unterscheidet.

 

  • Der gute Jura-Dozent weiß es: Lectio iuris brevis, ars iuris longa! – Frei übersetzt: Meine juristische Lehrstunde ist zwar kurz, meine juristische Lehr-Kunst wirkt aber lange!

 

  • Der gute Dozent tritt dicht an seine Studenten heran, aber niemals zu ihnen über. Er biedert sich nicht an! Er löst souverän das Dilemma zwischen Distanz und Nähe.

 

  • Der gute Dozent weiß: Von einer einzelnen Studentengruppe für einen guten Dozenten gehalten zu werden, ist für ihn allein ein schwacher Beweis, dass er es ist. Durch alle Lern-Generationen aber hindurch dafür gehalten zu werden, ist ein unschlagbarer für den guten Juradozenten.

 

  • Gute Jura-Dozenten schaffen gute Lernende. Elite erzeugt eben auch hier Elite. Will man einen Dozenten beurteilen, so muss man sich die ansehen, die er zum Examen geführt hat.

 

  • Der gute Dozent erscheint meist heiter. Das entgeht den hinter ihren „Schönfeldern“ grantelnden Dozenten mit den sauertöpfischen Tragödiengesichtern.

 

  • Manchmal hilft so manchem Jura-Dozenten die Einsicht: Groß ist im Dozieren das, was ich nicht bin. Er weiß: Nicht jeder große Jurist ist auch ein großer juristischer Dozent.

 

  • Ein guter Jura-Dozent ist jemand, der auch vieles andere hätte sein können als ein juristischer Dozent, zum Beispiel: Richter, Rechtsanwalt … oder Schauspieler.

 

  • Der gute Juradozent weiß, dass so mancher Jura-Dozent in der juristisch-wissenschaftlichen Sache oft vollkommen Recht hat und doch keinen seiner lernenden Gegenüber hinter dem Ofen hervorlocken kann.

 

  • Der gute Juradozent gibt häufig offene Rückmeldungen an die Lernenden über deren Lernfortschritte und erbittet von diesen offene Rückmeldungen über seine eigene Lehre und seine Lehrfortschritte. Er weiß, dass alle Jura-Dozenten gute Jura-Dozenten sein wollen, es aber nicht alle sein können und nur als „gute“ Lehre anerkannt werden kann, was als „gute“ Lehre in Klausuren und Examen bewiesen ist.

 

  • Der gute Jura-Dozent verfügt über interpersonelle Fähigkeiten wie Offenheit, Freundlichkeit, Zugänglichkeit, Ermutigung und … Verfügbarkeit. Er hat Zeit für seine Studenten. Der mittelmäßige Jura-Dozent sucht allenfalls den Geist seiner Studenten auf, zu wenig deren Herz und Hand. Meist liebt er sich und seinen juristischen Stoff mehr als seine Studenten.

 

  • Der gute Jura-Dozent beherrscht die Inszenierung einer Lehrstunde durch eine strukturierte Abfolge auch in der Weise, dass immer erst die einfachen Grundlagen für die späteren komplexen Vorgänge gelegt werden. Er ist versiert in Planung, Durchführung und Analyse einer juristischen Lehreinheit.

 

  • Der gute Jura-Dozent weiß, dass der Satz: „Entweder man hat’s oder man hat’s nicht“ nur für den Humor sowie für soziale und persönliche Merkmale des Dozenten zutrifft, nicht aber für die Kompetenz gilt, juristische Lehrveranstaltungen optimal zu planen, durchzuführen und zu schließen. Die „Pathologie“ des Lehrens und ihre didaktischen „Therapiemöglichkeiten“ sind ihm immer präsent: Träges Wissen in träger Lehre wird vergessen, lebhaftes Wissen in lebhafter Lehre bleibt haften.

 

  • Der gute Dozent vermittelt seine Inhalte mehr adressaten-orientiert als stoff-orientiert. Er beherrscht deshalb die alten wie die neuen Medien und setzt sie ausschließlich lernförderlich, nicht wichtigtuerisch und damit lernschädlich ein. Er weiß, dass die Aktivitäten der Studenten wesentlich wichtiger sind für den Lernerfolg als seine eigenen Aktivitäten. Seine Lehre ist nur anfangs dozentenzentriert, wird aber mehr und mehr studentenzentriert. Er zeigt Verständnis für die nur allmähliche juristische Entfaltung seiner Lernenden im Verlauf seiner Vorlesungsreihe und ermöglicht so ein adäquates Lehren und Lernen.

 

  • Der gute Jura-Dozent richtet seine ihm Anvertrauten auf, wenn diese erfahren, wie kompliziert die neue Jura-Welt ist. Er spornt sie an, wenn sie kurz vor der Erkenntnis eines Gesetzes stehen. Er bestärkt sie, nicht mehr alles zu kritisieren, sondern manches auch anzuerkennen, was der Gesetzgeber gemacht hat. Und er tröstet sie, wenn sie mal scheitern bei der Subsumtion und findet sich öfter in ihrer Lernsituation wieder. Der gute Jura-Dozent reflektiert bewusst, kritisch und ständig über die Optimierung der Zugänge zu den juristischen Köpfen seiner Studenten.

 

Zu guter Letzt:

Der gute Jura-Dozent weiß aus Erfahrung aber leider auch das: „Verlangte ein Dozent, am Ende seiner Kunst verdienten Dank zu haben, so suchte er schwarzen Schnee und weiße Raben.

 

Nun?: Was haben gute Juradozenten, was andere nicht haben? – Sie haben juristische Didaktik, ganz einfach! – Und: Was können sie, was andere nicht können? Sie können das Unsichtbare des Rechts und der Gesetze für ihre Studenten sichtbar machen! Sie können Dinge sehen, die andere nicht sehen. Sie können „juristisch lehren“!