9. Frage

Mit welchen Musterbildern auf den Hörsaalbänken muss ich rechnen?

Als junger Dozent sollten Sie auch möglichst früh erfahren, mit welchen Proto-Studententypen Sie es im Laufe Ihres Dozentenlebens als gegenüberliegende Pole zu tun bekommen.

 

Hier einige plakative Beispiele – aus meiner Erfahrung – ohne eine Garantie für die Vollständigkeit zu übernehmen. Gehen Sie sie mit Ihren Studenten doch einmal durch!

 

  • Der Positive – man sollte ihn mit einem Heiligenschein bekränzen. Er macht gut mit, sucht ehrlich nach Lösungen der juristischen Probleme, ist sachlich und aufgeschlossen. Der ideale Partner für einen partizipativen Lehrstil.

 

  • Der Vorsichtige – hockt in einem großen Schneckenhaus. Er hört immer erst einmal, was die anderen sagen, ohne sich selbst festzulegen. Er ist meist ein guter Jurist, traut sich aber nichts zu und schämt sich seiner Fehler.

 

  • Der Schüchterne – immer in Deckung, verborgen und vergraben hinter seinem Schönfelder. Er traut sich trotz guter Kenntnisse nicht, vor den anderen seine Meinung zu sagen.

 

  • Der Minimalist – meist kluger Studentenkopf, der sich aber leider durch Trägheit nur zu einem Minimum an juristischem Aufwand hinreißen lässt. Schade! Kann durch gewecktes Interesse aus seiner Minimum-Mentalität geweckt werden. Geschieht das nicht, sieht er regelmäßig keine Veranlassung, mehr zu arbeiten. „Befriedigend“ ist ja auch eine Note!

 

  • Der Abenteurer – wissbegierig und neugierig dringt er in juristisches Neuland vor. Er entdeckt neue juristische Kontinente. Alte Routen sind unter seiner Würde. Er vergisst nur leider meist, seine neuen Entdeckungen zu kartografieren, so dass er sich mangels wiederholbarer Lern- und Methodenwege häufig verirrt. Er ist ein idealer „Referat’ler“ und „Hausarbeit’ler“.

 

  • Der Morgen-geht-es-richtig-los-Typ – verfehlt das richtige juristische Lernen todsicher, weil er ständig neue, bessere Lern- und Arbeitspläne macht und dabei keine Zeit zum Lernen findet.

 

  • Der Ehrgeizige – studiert Jura nur aus Karrieregründen. Sein Blick ist starr auf das Punkten gerichtet. Er folgt keinen Interessen, sondern nur der Frage: „Was bringt mir das für das Examen?“

 

  • Der Perfektionist – wird mit dem Fall, dem Arbeitspensum nie fertig. Er sieht nur Bäume, aber keinen Wald. Er zerbröselt jedes Problem in fünfzig Unterprobleme und trifft nur selten den Punkt.

 

  • Der Generalist – Gegenspieler des Perfektionisten. Der Wald hat für ihn keine Bäume, ein Fall kaum Probleme. Er liebt die Stammtischargumentation, denkt nicht ableitend, sondern mehr aus dem Bauch.

 

  • Der BGH-Gläubige – zitiert im Überfluss Lehr- und Leitsätze, die sein eigenständiges Urteilsvermögen stark eintrüben. Er schlägt immer mit der höchstrichterlichen Autoritätsklatsche zu und empfindet Kritik am BGH als Gotteslästerung.

 

  • Der Nicker – autoritätssuchender, ausschließlich den Dozenten durch beifälliges Nicken bestätigender Ja-Sager. Er eckt nie an, weil er nie Kritik äußert. Fragt man ihn, weiß er trotz Nickens meist keine Antwort. Er hat eine Senk- und Hebevorrichtung im Nacken installiert.

 

  • Der Gerechtigkeitsfanatiker – gefährliche Abart des juristischen Hartholzbohrers. Er muss allen Dingen auf den ethischen Grund und dem Dozenten auf den Zeiger gehen. Die knüppelharte juristische Dogmatik mag er gar nicht, ihn interessieren die Trias des Wahren, Guten und Gerechten, die großen Fragen von Schuld und Sühne, Menschenwürde und Freiheit. Der Rest ist für die juristisch Niederen da.

 

  • Der Verströmer – Opfer seiner Talente. Er kann Vieles und macht Vieles und nichts richtig. Sein Pech: multibegabt zu sein, mühelos durch die Schule gekommen zu sein, erfolgsverwöhnt, locker, von allem eine Ahnung – reicht für den harten juristischen Alltag leider nicht aus.

 

  • Der Selbstbetrüger – fürchtet nichts mehr als Fehler. Er löst Übungsfälle nie selbst, sondern schreibt ab oder schaut in die Lösungsskizze. Er tröstet sich anschließend mit dem Satz: „Hätte ich auch so gemacht!“

 

  • Der Verdrießliche – arbeitet freudlos, lustlos und erfolglos. Nur mit Verdruss, Widerwillen gegen alles, was mit „Jura“ anfängt, und grimmiger Wut gegen die Besseren kommt man nicht weiter. Solche Masochisten muss man zum Abbruch überreden. Es gibt andere Studien!

 

  • Der Hochnäsige – sein Kopf ragt über die Wolken der profanen juristischen Welt. Er will nur „beobachten“, um dann hinterher die Besprechungsergebnisse zu kritisieren, lässt sich aber nicht herab, selbst mitzuarbeiten.

 

  • Der Bösartige – sitzt bildlich immer mit einem Messer zwischen den Zähnen im Studentenraum. Er fühlt sich durch jede Bemerkung angegriffen und wird leicht ausfallend.

 

  • Der Alleswisser – hat geistig immer einen Doktorhut auf. Er weiß nicht nur alles, sondern alles besser und muss das an den Dozenten und die Kommilitonen bringen.

 

  • Der Schwätzer – man sollte sich ihn immer mit einem riesigen Schnabel vorstellen. Er hört sich gerne reden, auch wenn er nichts zu sagen hat, und findet kein Ende.

 

  • Der Widerspenstige – fährt immer die Stacheln aus. Er hat gegen alles Bedenken, ist misstrauisch und voreingenommen gegenüber neuen Ideen.

 

 

  • Der Uninteressierte – blickt den Dozenten nie an, sondern immer woanders hin. Er beteiligt sich nicht, fühlt sich durch das Thema nicht angesprochen, spielt immer den Beleidigten.

 

Jeder kennt solche Proto-Studententypen oder deren Kreuzungen, zumindest aus eigener Studentenerfahrung. Wie reagiert man auf welchen Typ? – Selten trifft man auf den „Blended Student“, diese feine Mischung aus Ehrgeiz und Minimalismus, aus Perfektionismus und Generalismus, aus Multitalent und Nickertum, aus Hochnäsigkeit und Vorsicht. Am liebsten ist vielen der positive Abenteurer, dem man mit Rechtsdidaktik-Karte und Rechtsdidaktik-Kompass helfen kann, so dass er nach gemeinsamen passionierten, aufregenden Entdeckungen die Wege nach „Jurististan“ kartografieren konnte und so die Ziele selbst wiederfinden kann.