Ja! Das juristische Lehren ist eine ganz spezielle Kunst! Unter „Kunst des juristischen Lehrens“ verstehe ich dabei allerdings nicht nur die schöpferische und gestalterische Fähigkeit des Jura-Dozenten zur optimalen juristischen Unterweisung seiner Studenten, also den didaktischen Prozess der Unterrichtung vom Jura-Dozenten hin zu den Studenten, sondern mehr noch sein didaktisches Produkt im Kopf der Studenten: den juristischen Lernerfolg. Didaktik ist eben die Lehre vom Lehren und Lernen. So wie die „Dichtkunst“ des Dichters Dichten ebenso umfasst wie sein Gedicht, wie die „Malkunst“ des Malers Malen ebenso umfasst wie sein Bild, so umfasst die juristische „Lehrkunst“ des Juradozenten sein juristisches Lehren ebenso wie seinen juristischen Lernerfolg. Jede Vorlesung muss ein Kunstgenuss sein.
Die Ausübung der juristischen Didaktik hat zunächst wie jede andere Kunst 5 generelle Grundvoraussetzungen, ganz gleich, ob es sich um die Baukunst, Dichtkunst, Malkunst, Fußballkunst, Medizinkunst oder eben die juristische Lehrkunst handelt.
- Die Ausübung einer jeden Kunst erfordert generell Disziplin, auf deutsch „Selbstzwang“, auf altdeutsch „Selbstzucht“. Man wird es nie zur Vollendung bringen, wenn man nicht diszipliniert vorgeht. Tue ich nur dann etwas, wenn ich gerade „gut drauf“ bin“, so kann das juristische Lehren ein nettes oder unterhaltsames Hobby sein, doch niemals wird man in diesem Tun ein Meister sein.
- Die Ausübung einer jeden Kunst erfordert generell Konzentration. Mehrere Dinge gleichzeitig tun, geht beim juristischen Lehren sowenig wie bei jeder anderen Kunst. Nur das, was ich in diesem Augenblick tue, darf mich interessieren, und ich muss mich dem ganz hingeben: der Vorbereitung der Vorlesung, der Vorlesung selbst, der Nachbereitung der Vorlesung.
- Die Ausübung einer jeden Kunst erfordert generell Geduld. Wenn man auf rasche Erfolge aus ist, lernt man eine Kunst nie. Wenn man das „Trial- and Error-Verfahren“ immer nur bei Anderen sieht, bleibt man arroganter Lehrling. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen! Auch das juristische Lehren ist ein Lernverfahren, bei dem Fehler zum Lernprozess gehören, und das eine hohe Misslingenstoleranz und eine noch höhere Korrekturbereitschaft verlangt.
- Die Ausübung einer jeden Kunst erfordert generell Ehrgeiz, dass es einem nämlich von größter Wichtigkeit ist, darin auch Meister zu werden. Anderenfalls bleibt man nur ein guter Dilettant.
- Die Ausübung einer jeden Kunst erfordert schließlich generell Bescheidenheit, nämlich die Erkenntnis, dass man eine Kunst nicht direkt, sondern immer nur auf indirekte Weise erlernt. Man muss zuerst eine große Zahl kleinerer handwerklicher Dinge lernen, die scheinbar nur wenig damit zu tun haben, bevor man mit der eigentlichen, großen Kunst anfangen kann. Man muss also die juristische Didaktik erlernen, um erfolgreich Jura lehren zu können.
Die Ausübung der juristischen Didaktik hat neben den für jede Kunst notwendigen generellen Voraussetzungen fünf weitere spezielle Voraussetzungen.
- Die Ausübung der juristischen Lehrkunst erfordert speziell, das häufig Unausgesprochene der Gesetze zu vermitteln. Es ist eben nicht nur das zu vermitteln, was das Gesetz sagt, sondern mehr noch das, was es meint. Die juristische Lehrkunst muss das Unsichtbare der Gesetze dem Lernenden sichtbar machen, das konkrete Leben (Fall) im abstrakten Regelwerk suchen und für den Lernenden gutachtlich aufarbeiten.
- Die Ausübung der juristischen Lehrkunst erfordert speziell, immer und immer wieder das der ganzen „Gattung Jura“ Gemeinsame, nämlich ihre Methodik und Systematik, in jedem einzelnen Fall, in jedem einzelnen Gesetz, in jeder einzelnen Lehreinheit ein Mal herauszuarbeiten. Sie muss aufzeigen können, wodurch jeder ihrer Fälle, jedes anvisierte Gesetz, jedes Gutachten als Repräsentanten der ganzen „Gattung Jura“ auftreten und jeder Fall für tausend gilt. Die Fähigkeit des Juristen ist es nunmal, mit einer zählbaren Anzahl von Gesetzen unter Zuhilfenahme einer Hand voll methodischer Regeln unzählbare Fälle lösen zu können. Diese Fähigkeit muss man durch seine juristische Lehrkunst bei seinen Studenten deutlich machen.
- Die Ausübung der juristischen Lehrkunst erfordert, speziell zur Widerlegung des ständigen Vorurteils, Jura sei nun einmal langweilig und trocken, passionierte Aktivität im Sinne eines produktiven, leidenschaftlichen Gebrauchs der eigenen Kräfte und einer prägefreudigen Sprache. Aktiv zu sein, ist die Voraussetzung dafür, dass man sich selbst und die Studenten mit Jura nicht langweilt, sondern passioniert. Dazu muss man sich selbst beständig im Zustand der lebendigen Aufnahmebereitschaft, der Wachsamkeit und Aktivität mit der Welt, seiner Institution, seinen jungen Studenten und seinen Kollegen befinden. Die Kunst, Jura zu lehren, erfordert einen Zustand intensiver kultureller, geistiger, kollegialer und politischer Wachheit und gesteigerter Vitalität. Ist man auf anderen Gebieten nicht produktiv, aktiv und leidenschaftlich, so kann man es auch nicht im juristischen Lehren sein.
- Die Ausübung der juristischen Lehrkunst erfordert speziell, Einfachheit in die vielfach vernetzte juristische Komplexität zu bringen. Die fortwährende Reduktion der juristischen Komplexität auf einzelne Elemente zur Reproduktion der Komplexität ist die didaktische Tat und nicht: Komplexes immer noch komplexer darzustellen. Die juristische Lehrkunst muss die Gesetze demaskieren, nicht maskieren. Sie muss das abstrakte Gesetz immer im konkreten Fall spiegeln, das juristisch Neue im juristisch Alten und das juristisch Alte auch immer wieder im juristisch Neuen aufweisen.
- Die Ausübung der juristischen Lehrkunst erfordert speziell, die perfekte Inszenierung eines vielseitigen Wechselspiels. Hier müssen abstrakte juristische Begrifflichkeiten und anschauliche, dem Alltag entnommene konkrete Vorstellungen, bildhafte Fall-Phantasien und nüchterne gesetzliche Logik vielfach aufeinander bezogen werden. Straffe Strukturierung der Normenbestandteile (Tatbestandsmerkmale) und kreatives, lockeres, auslegendes Nachsinnen im konditionierenden gutachtlichen Training sind dabei unabdingbar und manchmal ein rechtsschöpferisches, neues Darüberhinaus-Denken. Dieses Spiel erfolgreich spielen zu können und es für Ihre Studenten „künstlerisch“ zu inszenieren, ist juristische Lehrkunst.
Diese 5 speziellen und 5 generellen „Kunststücke“ münden dann in eine gute juristische Hochschullehre.
Also: Was ist gute juristische Hochschullehre?
Es wäre Aufgabe guter effektiver universitärer Juraausbildung
- dem Studenten das juristische Wissen, die methodischen Fähigkeiten, das systematische Verständnis und die juristischen handwerklichen Fertigkeiten zu vermitteln, die notwendig sind, um ihn auf die vielfältigen juristischen Lebenstätigkeiten vorzubereiten,
- ihn in die Lage zu versetzen, selbstständig und kritisch, methodisch sicher und kreativ mit Gesetz und Fall umzugehen und ihn auf die semesterbegleitenden Klausuren vorzubereiten,
- unter Verzicht auf Vollständigkeit mehr Tiefe statt Breite zu lehren,
- den Dozentenhorizont mit dem Studentenhorizont zu verschmelzen,
- dem Studenten dabei zu helfen, sich zu einer psychisch stabilen mündigen Persönlichkeit zu entwickeln,
- ihn herauszufordern und zu ermuntern, Probleme zu durchdenken und zu lösen, hohe Erwartungen an ihn zu haben, ihn dazu zu bringen, über Art und Qualität seines Lernens zu reflektieren,
- soziale Kompetenzen zu formen, die es ihm erlauben, Recht und Gerechtigkeit, Solidarität, Toleranz und Freiheit in der Gesellschaft zu wahren, zu verteidigen und zu mehren,
- ihn bestmöglich auf das Examen vorzubereiten,
- und … am Ende der Vorlesung noch so viele Studenten zu haben wie am Anfang und in fröhliche Gesichter zu schauen.
Und das alles in einer von einem kooperativen, freundlichen, motivierenden, didak-tisch fertigen und fachlich hochkompetenten Dozenten inszenierten Lehrveranstal-tung, in der die studentischen Hoffnungen nach lehrreichen Rückmeldungen, aktiver Teilnahme und guter Beratung und Betreuung erfüllt würden. Eine gute Hochschullehre führte durch ein verlässliches Studium, in dem sich der Jurastudent darauf verlassen könnte, dass er den Examensstoff auch tatsächlich vermittelt bekäme. Es wäre eine Lehre, in der die „Inputorientierung“ reiner Wissensvermittlung mehr zurückträte hinter eine „Outputorientierung“ im Hinblick auf handwerkliche Anwendung von Recht und Gesetz, die Interesse, also Neugier weckte an Jura und Methodenkompetenz, Praxisorientierung und Kontakt zu den Dozenten schaffte. Formale Konstanz bei inhaltlicher Varianz in didaktischer Brillanz wäre dafür die beste Kurzformel!
Und was ist schlechte juristische Hochschullehre?
- Eine Ostereierdidaktik: Der Dozent versteckt das juristische Wissen, die Studenten müssen suchen und haben Glück, es zu finden.
- Eine von einem autoritären, missmutigen, demotivierenden, didaktisch ungebildeten und fachlich inkompetenten Dozenten liegengelassene Lehrveranstaltung.
- Eine Lehre, in der die studentischen Vorurteile bezüglich fehlender Lernziele, ausbleibender Rückmeldungen, passiven Rezipiententums und nicht existierender Beratung und Betreuung bestätigt werden.
- Eine Lehre, die durch ein Studium führt, das notgedrungen wegen fehlender Verlässlichkeit und Studierbarkeit beim Repetitor enden muss.
- Eine Lehre, die verbissen an der Einheit von „Forschen und Lehren“ festhält, obwohl die Kluft zwischen Lehrgegenstand und Forschungsgegenstand viel zu riesig ist, als dass die Lehre davon profitieren könnte.
- Eine Lehre, die ausschließlich am „Input“ interessiert ist.
- Eine Lehre, der der Jurastudent egal ist.
- Eine Lehre, die blind gegenüber den Problemen ihrer Studenten ist, schlimmer noch, blind gegenüber ihrer eigenen Blindheit.
- Eine Lehre, die nach wenigen Semestern keine Studenten mehr im Hörsaal hat, da alle zum Repetitor abgewandert sind.
- Eine Lehre, die bei den Leistungsnachweisen in ein verantwortungsloses Notenchaos führt.
Und welche Hochschullehre ist besser?
Eine verblüffende Frage – oder? Aber von manchen Dozenten wird tatsächlich fol-gende „Logik“ vertreten: Die „schlechte Lehre“ sei die bessere! Denn: Durch „schlechte Lehre“ würden die Studenten gezwungen, sich die juristischen Informationen selbstständig zu suchen, auf eigene Faust Gesetze zu studieren, nach Bedeutung, System und Sinn zu forschen, also aktiv zu lernen. Das sei allemal besser, als wenn alles durch „gute Lehre“ lediglich dargeboten, aber nicht angenommen werde. Also führe „schlechte Lehre“ zu mehr Selbstständikeit und Lernerfolg! Diese „Logik“ mancher Dozenten geht offensichtlich auf die Erfahrung aus der eigenen Studentenzeit zurück. Sie hatten schlechte Dozenten und haben dennoch dank des Repetitors ein gutes Examen gemacht. Sie haben eigenständig durch das ihnen extern beigebrachte aktive Lernen die Löcher der „schlechten Lehre“ gestopft. Nur: Was ist mit den Tausenden von Jurastudenten, die an der „schlechten Lehre“ gescheitert sind? Was ist mit denen, die nicht die Fähigkeit, das Geld, die Energie und Disziplin hatten, sich selbstständig zu emanzipieren und zu motivieren? – Nein! Nur „gute Lehre“ führt zu hoher Qualität, basierend auf einer „Fachdidaktik Jura“.
Und von wem könnte diese juristische Hochschullehre lernen?
Ich schlage ganz ketzerisch die Fachhochschulen für Rechtspflege vor. Von Gewinnern lernen, heißt siegen lernen! Ersetzen Sie die Negativa der Universitäten durch Positiva besagter Fachhochschulen und Sie haben einen Katalog der didaktischen Gescheitheit:
- Keine mangelnde, vielmehr vorgeschulte Didaktikorientierung der Lehrenden
- Gelungene Verzahnung von Theorie und Praxis im Studium
- Gute Beratung und begleitende Betreuung der Studenten
- Keine Massenvorlesungen
- Keine Überfrachtung des Lehrstoffes in Breite und Tiefe
- Hohe Aufmerksamkeit für die alles überragende Studieneingangsphase
- Keine Überbetonung des Theoriewissens zu Lasten des Anwendungskönnens
- Begleitende Vergewisserung über Lernfortschritte bei den Studenten auch außerhalb der Klausurensäle
- Lernreiche Rückmeldungen auf Klausuren an die Studenten
- Ständige Evaluationsneigung seitens der Dozenten
- Wechselseitig befruchtender Dialog zwischen Dozenten und Studenten innerhalb und außerhalb der Hörsäle
- Kein Erwerb der „Lehrkompetenz“ in Selbstversuchen á la „trial and error“
- Vorbereitung auf die Lehre durch eine vorgelagerte Praxis in einem juristischen Beruf
- Und: Es prüft, wer lehrt.