Überblick der Fragen

Ihre Fragen zunächst nach Themen geordnet, mit meinen kursorischen Antworten zum Ausklappen.

Lesen Sie dann die jeweiligen Blogbeiträge für die vollständige Beantwortung Ihrer Fragen!

I. Didaktische Kompetenz und Lehrstil

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Der didaktisch gute Juradozent beherrscht die Kunst des juristischen Lehrens. Er gestaltet die Beziehungen zu seinen Studenten, wie die schlechten sie nicht gestalten und lehrt, wie die schlechten nicht lehren. Und vor allem: Er kann das Unsichtbare des Rechts und der Gesetze für seine Studenten sichtbar machen. Er kann Dinge sehen, die die schlechten nicht sehen. Ein guter Juradozent ist nur da ganz Juradozent, wo er mit Begeisterung Begeisterung schafft und er ist überall da kein Juradozent, wo er mit Langeweile Langeweile erzeugt.

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Ja! Natürlich kann man das! Man kann lernen, ein guter Dozent zu sein. Gute Lehre ist kein Zufall, sondern sehr viel Mühe und Arbeit. Man muss sich möglichst schnell ein „survival package“ zulegen mit den Antworten auf einige wichtige Überlebensfragen. Eigentlich ist Lehren für Sie als juristische Lehrkraft ja nichts anderes als etwas schon von Ihnen juristisch Gelerntes wieder in Lernen zu verwandeln. Juralehren heißt also, sein gelerntes und beherrschtes Juraweltwissen wieder in Juraweltwissen bei den Studenten umzumünzen. Ganz einfach! Und doch so unendlich schwer, weil zwischen dem Erlernen von Jura und der Kompetenz zur optimalen Wiedergabe des Erlernten die zu erlernende Welt der juristischen Fachdidaktik liegt. Dafür muss man Jura zum zweiten Mal lernen und die Didaktik noch obendrauf.

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Gute juristische Didaktik hat die Aufgabe

  • dem Studenten das juristische Wissen, die methodischen Fähigkeiten, das systematische Verständnis und die juristischen handwerklichen Fertigkeiten zu vermitteln, die notwendig sind, um ihn auf die vielfältigen juristischen Lebenstätigkeiten vorzubereiten,
  • die Studenten in die Lage zu versetzen, selbstständig und kritisch, methodisch sicher mit Freude und kreativ mit diesen Qualifikationen umzugehen und ihn auf die alles entscheidenden Klausuren vorzubereiten,
  • unter Verzicht auf wissenschaftliche Vollständigkeit mehr Anwendungsbezug zu lehren, Rechtswissenschaft mehr als Rechtsanwendungswissenschaft zu begreifen,
  • den Dozentenhorizont von Jura mit dem Studentenhorizont vo Jura nach und nach zu verschmelzen,
  • und … am Ende der Vorlesung noch so viele Studenten zu haben wie am Anfang.

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Die didaktische Kompetenzentwicklung ist ein individueller, allmählich wachsender Professionalisierungsprozess. Wie jedes Lernen ein evolutionäres Fortschreiten ist, so ist es auch bei der Aneignung juristischer Lehrkompetenzen. Schritt für Schritt, einschließlich mancher Rückschritte. Wenn ihre Studenten seufzen: „Oh bitte nein, nicht schon wieder der!“, dann haben Sie etwas falsch gemacht. Sie haben sich noch nicht genug mit den „Juristischen Lehrkompetenzen“ auseinandergesetzt und Ihren Professionalisierungsprozess noch nicht abgeschlossen. Gehen wir es doch gemeinsam an!

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Ja! Das juristische Lehren ist eine spezielle Kunst! Unter „Kunst des juristischen Lehrens“ verstehe ich dabei allerdings

  • nicht nur die schöpferische und gestalterische Fähigkeit des Jura-Dozenten zur optimalen juristischen Unterweisung seiner Studenten,
  • sondern mehr noch den didaktischen Prozess der Unterrichtung vom Jura-Dozenten hin zu den Studenten
  • und noch mehr das didaktische Produkt dieses Prozesses im Kopf und auf dem Klausurenbogen der Studenten: den juristischen Lernerfolg.

So wie die „Dichtkunst“ des Dichters Dichten ebenso ist wie sein Gedicht, wie die „Malkunst“ des Malers Malen ebenso ist wie sein Werk, ist die juristische „Lehrkunst“ des Dozenten juristisches Lehren ebenso wie sein juristischer Lernerfolg.

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Gefordert ist stets Ihre eigene persönliche Originalität. Fremden Stil in der Lehre nachzuahmen, heißt, eine Dozenten-Maske zu tragen. Wäre diese auch noch so schön, so wird sie durch das Leblose für die Studenten bald fade und unerträglich, so dass selbst ein unschönes, aber lebendiges Dozenten-Gesicht besser ist. Man sollte sich von Anfang an vornehmen, keinen gekünstelten kopierten Stil zu pflegen, sondern seinen eigenen zu prägen. Jeder Dozent sollte sich hüten vor dem sichtbaren Bestreben, „mehr Dozent“ zeigen zu wollen, als er ist. Denn dieses Bemühen weckt sehr schnell den Verdacht, dass er sehr wenig Talent zum Dozieren hat, da man immer nur das imitiert, was man nicht selbst besitzt.

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Es gibt ganz bestimmte Grundmuster von juristischen Dozenten in jedem Kollegium. Ich stelle sie Ihnen vor. Es sind allgemeine „Typen“, erschrecken Sie nicht! Kein Dozent entspricht genau dieser Benennung. Jeder „Typ“ steht nie alleine, sondern immer in Tendenzen zu einem oder auch mehreren anderen Beispielen. Erkennen Sie sich oder einen Ihrer Kollegen? Schauen Sie sich in Ruhe um! Welcher Dozentenpersönlichkeit kommen Sie oder Ihr Kollege am nächsten? Diese Kollegen kennenzulernen kann richtig Spaß machen und gibt Einblicke in das eigene Dozenten-Selbst.

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Gegenseitiges Lehren und Lernen ist ein Annäherungsprozess mit ungewissem Ausgang. Kein Dozent hat die direkte Kontrolle, was in den 100 Gehirnen der Studenten vor sich geht. Er kann nur annähernd gleiche Rahmenbedingungen schaffen und damit einen übereinstimmungsfähigen Interaktionsprozess in Gang setzen, um bedeutungs-, lern- und verstehensähnliche Erlebniswelten zu ermöglichen. Sein Wissen ist nicht eins zu eins sprachlich übertragbar, sondern wird in jedem Studentenkopf individuell neu konstruiert zusammengesetzt. Die Beziehung zwischen Professoren und Studenten ist interdependent, wechselseitig abhängig. Sie wird aber von den Studenten leider nur dependent, einseitig abhängig empfunden und von den Professoren leider independent, unabhängig interpretiert. Es müsste zu einer Integration beider Betrachtungsweisen kommen.

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Gerade als junger Dozent sollten Sie möglichst früh erfahren, mit welchen Proto-Studententypen Sie es im Laufe Ihres Dozentenlebens im Hörsaal als Gegenüber im didaktischen Lehr-Lern-Prozess so zu tun bekommen. Gehen Sie einmal Ihre Hörerschaft mit mir gedanklich durch, Sie finden garantiert direkt Beispiele aus Ihrer Studentenschar.

II. Lehrmethoden und -inhalte

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Es ist eine jeden Dozenten immer wieder aufs Neue faszinierende Frage der Didaktik, ob dieser oder jener Stoff (Was-Frage) für diese oder jene Studenten (Wem-Frage) verfrüht, gerade richtig oder verspätet angeboten wird, ob man sofort mit dem Klausurentraining beginnt, ob man sofort zum „Frontalangriff“ auf die Bibliotheken bläst oder mehr hinhaltend taktiert, ob Schemata vor- oder nachgeschaltet werden sollen, ob man vor- und/oder nacharbeiten soll (Wann-Frage). Methodenkompetenz? – Welche bitte und wer lehrt sie wann? – Beherrschung der Grundprinzipien? – Welche sind das? – Eigenständiges juristisches Denken? – In welche Richtungen? Anhand welcher Leitplanken? Hier wäre eine genaue Absprache über die jeweiligen Inhalte unverzichtbar, damit nicht doppelt gelehrt oder im Vertrauen auf die Lehre des Kollegen Methodisches gar nicht gelehrt wird (akademisches St. Florian-Prinzip). Wer lehrt Gutachtenstil, wer Klausurentechnik, wer Auslegungsmethoden, wer Gesetzeskunde? „Das haben Sie sicher in „Einführung in die Rechtswissenschaft“ gehört“. Hat man? –Hat man eben oft nicht!

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Wozu-Fragen werden mit Damit-Sätzen beantwortet, der Lateiner sagt: mit Finalsätzen. Es ist die Frage nach den Lehrzielen, nach konkreten Wissensinhalten. Da ist zum einen die Dogmatik. Dogmatik ist der Kern der Rechtswissenschaft. Zum anderen ist es die Frage nach dem Können für die Klausuren und das Examen. Schließlich die Frage nach der Praxis, d.h. nach beruflichen Handlungskompetenzen. Durch die Lehrziele, die es leider häufig nur recht verschwommen in Curricula gibt, werden die entscheidenden Maßstäbe gesetzt, an denen sich das konkrete didaktisch-methodische Handeln des juristischen Dozenten messen lassen müsste: Mündiger Student oder „Subsumtionsidiot“? Bildung oder Ausbildung? Abrichtung oder Befähigung zur eigenen Verantwortung für die Gestaltung und Weiterentwicklung des Rechts in der Gesellschaft? Juristische Persönlichkeit oder subalterner Staatsbürger? Theoretiker oder Praktiker? „Wer nicht weiß, wohin er will, kommt nicht an!“ Diese Lebensweisheit gilt es mit der Priorisierung von Lehr- und Lernzielen für die juristische Didaktik umzusetzen. Eine gute Lehrveranstaltung darf niemals blind draufloslaufen, sondern muss ihr Ziel klar im Auge haben. Es gibt fraglos vieles, was man als Jurastudent wissen muss. Aber es gibt mehr, was man als Jurastudent können muss: Nämlich das könnerhafte Vermögen, Rechtsfälle mit Gesetz, Methode und Rechtsprechung zutreffend, zumindest vertretbar, zu bearbeiten und zu entscheiden.„Aber, ich habe doch alles gebracht!“, seufzt so mancher Dozent nach seinem Klausurenwaterloo. „Aber wir haben nichts verstanden!“, schallt es von der Front der verzweifelten Klausurenschreiber zurück. Dazu kann es führen, wenn man als Dozent nicht an juristischem Wissen und Können gleichermaßen lernzielorientiert arbeitet.

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Die Wie-Frage ist die Frage nach Ihren Lehrmethoden. Lehrmethoden sind die Formen und Verfahren, in denen sich Dozenten und Studenten begegnen und mit denen der Dozent den juristischen Stoff vermittelt. Die optimale Lehrmethode wird es nicht geben. Gefordert ist eine gesunde Mischung der drei Grundformen des Lehrens aus Frontal-, Gruppen- und Einzelunterricht. Jede Form hat ihre typischen Vor- und Nachteile, die man allerdings kennen muss, wenn man mitmischen will. Allen Lehrformen und Lehrmethoden muss ein Ziel gemeinsam sein, nämlich juristisches Wissen, Können und Verständnis so zu entwickeln, dass sie langfristig im Gedächtnis verankert werden („hängenbleiben“). Es geht nicht darum, dass viel „Jura“ angeboten wird, sondern dass von dem Angebotenen viel „Jura“ verstanden wird.

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Jede Lehrmethode ist – frei nach Paracelsus – für die Studenten Gift oder Heilmittel. Es kommt eben nur auf die richtige Dosierung an. Es gibt gute und schlechte Frontallehre, mitreißende und einschläfernde Vorlesungen, es gibt gut und schlecht organisierte Gruppenarbeit, langweilige und spannende Exkursionen, lehrreiche oder lehrarme Fallarbeit. Wie sagt der Jurist? Es kommt darauf an! Doch zunächst muss man wissen, worüber man überhaupt spricht. Was gibt es alles auf dem „Markt“ der Lehrmethoden? – Ich stelle Ihnen 12 Lehrvariationen vor.

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Die Womit-Frage ist immer die Frage nach den Lehrmedien. Ist der Inhalt einer Powerpointpräsentation noch ein gemeinsam erarbeitetes Lehr-Lern-Produkt oder mehr ein Fertigprodukt? Sollten wir als Dozenten die Medien den Studenten vorsetzen oder die Studenten selbst auswählen lassen? Sollten wir die Medien gar durch die Studenten selbst herstellen lassen? – Medieneinfalt oder zirzensische Medienvielfalt? Medien sollten der Erleichterung der Stoffvermittlung dienen und sind eine Gestaltungsform der Informationsübertragung vom dozentischen Sender hin zum studentischen Empfänger. Sie sollen als Lehrmittel die Aufmerksamkeit der Studenten über Reize wecken und schärfen. Ganz einfach: Medien sollen das Lehren und Lernen erleichtern und nicht erschweren. Diese Chance nutzt man m.E. am allerbesten mit den klassischen Medien der Tafel und der Sprache.

III. Kommunikation und Interaktion im Unterricht

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„JA! Eine Menge!“ – Lassen Sie sich inspirieren von einer Unzahl an Beispielen.

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Nicht, wenn Sie die gesamte Antwort abwarten. „Die juristische Vorlesung und die Leere“ ist zugegebenermaßen eine überspitzte Formulierung. Das Wort „Leere“ macht hier, zugegeben, richtig Spaß. Es soll aber die Frage deutlich werden lassen, warum so wenige Dozenten spannende juristische Vorlesungen halten können und die Studenten sich manchmal wie am Ende der katholischen Messfeier fühlen: „Ite missa est“ – „Geht, die gottesdienstliche Versammlung ist entlassen!“ Leert sich der Hörsaal oder werden reihenweise die Smartphones, Unterhaltungs- und Ablenkungsmöglichkeit Nr. 1, gezückt, ist es nicht immer die fehlende Motivation der Studenten, ihre mangelnde Fähigkeit oder Intelligenz. Eine langweilige Vorlesung ist für Studenten oft das Schlimmste, was sie erleben.

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Ja, die gibt es! Zwar gibt es keine Patentrezepte für eine juristische Idealvorlesung. Dennoch gibt es viele erfahrungsbasierte, über das rein Subjektive, Individuelle und Originelle hinausgehende Allgemeingültigkeiten. Sicher gibt es Dozenten mit begnadeter, treffsicherer, unfehlbarer Intuition für die Lehrsituation. Aber allen, denen dieses Talent abgeht, rate ich immer mal wieder zu einer Situationsanalyse für die Begegnungssituation zwischen ihnen und den Studenten. Vielleicht anhand meines „Survivalpackage“ mit dem Inhalt von 39 Leitgedanken?

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Ja, reden müsste man können in der Vorlesung! Man kann!

Drei Beispiele von meinen 50 Stichpunkten:

  • Denken Sie dran: Ihr Gedanke muss im Moment verstanden werden – es gibt für die Studenten, anders als im Lehrbuch, kein Zurückblättern mehr.
  • Orientieren Sie sich immer an den Bedingungen menschlicher Aufnahmefähigkeit. Und die sind recht beschränkt.
  • Das angestrebte Sprachniveau sollte nicht das des Reichsgerichts oder des Bundesgerichtshofes sein.

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Indem Sie Ihren Studenten das Muster einer Vorlesungsmitschrift an die Hand geben! Eine systematische Einführung in die für den Studenten neue Lehrform einer Vorlesung wird im Anfang der juristischen Ausbildung leider nicht geliefert. Motto: „Friss Vogel oder stirb! Sieh wie du klar kommst, Studentlein!“ Dem möchte ich in dieser Antwort entgegentreten mit meinem Beispiel für einen Vorlesungsmitschrift-Bogen!“

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Das können Sie nur erreichen, wenn Sie Ihre Studenten von Anfang an mit einer fairen Diskussionstechnik und strengen Diskussionsregeln vertraut machen. Irgendwann muss man sich als Dozent an diese Diskussionen herantasten! Irgendwann muss man mit seinen Jurastudenten diskutieren! Unsere Zeit ist nun einmal diskussionsfreudig. Die Juristen waren es eigentlich schon immer. Man muss die Studenten öfter aus ihrer geduckten, jurapaukenden Welt herausholen und in die freie Welt aktiver juristischer Diskussionen führen. Sie müssen es mit ihnen lernen! Diskussionen dienen materiell der Wahrheitsfindung und formell der Schulung argumentatorischer und dialektischer Fähigkeiten und sind ein hoher didaktischer Wert für die Förderung, Gelerntes selbstständig anzuwenden.

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Sie sollten den Studenten durch Ihr eigenes Beispiel schnellstmöglich die Angst vor „Streitereien“ in der Juristerei nehmen. Recht hat immer diskursiven Charakter. Es gibt immer Streit. Das muss so sein! Allerdings muss man in der Lehre erst das Fundament bauen, auf dem gestritten werden kann. Sonst entsteht ein „Schwindelgefühl“. Die Problemdiskussion in der  Lösungsskizze der Klausur ist der „Geniestreich“ des Studenten, das müssen Sie ihm sagen! Und vormachen, wie man es macht!

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Es gibt keinen Schonraum im Leben des Dozenten für Anfänger, es ist immer gleich das Schwierige, was von einem verlangt wird. Aber keiner verlangt von Ihnen Unmögliches, nämlich gleich eine Vorlesung ohne Gedächtnisstützen zu halten. Das kann keiner! Das Gegenteil wäre die Lehrstunde nach einem fertigen Manuskript zu halten. Die Lehrstunde nach einem ausgeschriebenen Manuskript hätte natürlich einen großen Vorteil: Man kann nicht steckenbleiben, weil man sich jederzeit wieder einklicken kann. Aber die Nachteile sind enorm: Ein ausgeschriebenes Manuskript ist nun einmal eine „Schreibe“ und keine „Rede“! Es gibt nur eine Situation, in der man ein ausgeschriebenes Manuskript braucht: Dann nämlich, wenn man wenig von dem juristischen Thema versteht, über das man spricht. Und gerade diese Situation will man ja nicht demonstrieren. Ich zeige Ihnen mehrere Möglichkeiten, die für Sie in Betracht kommen!

IV. Methodik und didaktische Werkzeuge

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Man sieht sich im Bannkreis dieses Themas leider gezwungen, auf Offenkundiges hinzuweisen: Der Umgang mit der juristischen Hauptliteratur, nämlich den Gesetzen, wird zu wenig geübt! Die Nebenliteratur, also die Lehrbücher und Kommentare, hat die Flughoheit über den juristischen Lehr- und Lernstühlen! Der Student lernt sein Handwerkszeug nicht richtig kennen! Es darf kein juristisches Lehren ohne Gesetz geben. Dozenten und Studenten sind in der Vorlesung eine Interpretationsgemeinschaft: der Dozent ist der Interpret des Gesetzes, das Gesetz das Interpretandum, der Student der Partner im dialogischen Prozess der Anwendung und Auslegung. Dieser Prozess konstituiert sich im Rechtsverständnis. In diesem dialogischen Prozess muss der Dozent die zu interpretierenden Gesetze, seine gerade aktuellen „Jura-Stars“, dramaturgisch umsetzen, inszenieren, ja „verlebendigen“. Und wie? Kommen Sie mit!

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Weil mit dem Einstieg das Kostbarste zu gewinnen ist, was es in der Vorlesung zu gewinnen gibt: Aufmerksamkeit, Beachtung, Interesse an Ihnen und am Stoff. Eigentlich hört es sich doch verdammt mühelos an, das „Da beginne ich einfach mit meiner juristischen Lehrstunde“, und ist dann doch so verdammt schwer, der Einstieg, das Abholen und Mitnehmen der Studenten auf den Streifzug Ihres juristischen Themas. Mit dem Einstieg können Sie aber auch alle Zuwendung Ihrer Studenten zunichte machen, wenn er abstoßend, unverständlich, zum Gähnen langweilig oder unwitzig, albern und peinlich ist. „You never get a second chance to make a first impression“.

20 Sekunden nach Ihrem Einstieg fällt die Entscheidung Ihrer Studenten: Zuhören oder abschalten, Einstieg geglückt oder missglückt!

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Da es kein frag-loses juristisches Lehren gibt, sollten Sie sich mit der Fragetechnik bekanntmachen. Sicher ist, dass die Dozentenfragen im Gegensatz zu den Studentenfragen durch eine unnatürliche Künstlichkeit gekennzeichnet sind. Der Dozent will ja gar nicht wissen, was er fragt, er weiß es ja selbst! Die Frage hat bei Dozenten eine ganz andere Funktion als im normalen Leben: Sie will keine Aufklärung und keine Wissenslücke schließen, sondern sie soll Lernhilfe sein! Sie soll den Studenten in eine produktive zweifelnde Verlegenheit bringen – sie soll den Lernprozess anregen. Wissenschaft lebt vom steten Zweifel. Also lässt man die Studenten mit Fragen zweifeln! Lehren lebt vom Verstehen und Behalten. Also muss man als Dozent mit Fragen überprüfen, ob behalten und verstanden worden ist.Das muss man können!

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Weil die juristische Methodik zu beherrschen, bedeutet, die Juristerei zu beherrschen. Seit es das Studium der Rechtswissenschaft gibt, gibt es das Massensterben vieler Studenten gleich im Anfang. Woran das Massensterben liegt? – Es liegt daran, dass den Studenten die Methoden unserer Wissenschaft, profan ausgedrückt: das Handwerk, nicht früh genug gezeigt werden. Juristische Methodik ist der Arbeitsmodus sämtlicher tätigen Juristen. Es wird leider seit altersher oft von Dozenten so behandelt, als stelle es sich als Nebeneffekt im Laufe des Studiums von selbst ein. Welch ein Irrtum! – Der Ausgangspunkt aller dozentischen Bemühungen und didaktischer Erkenntnis liegt in der Vermittlung methodischen juristischen Denkens! Anderenfalls bleibt nichts bei Ihren Studenten hängen, ihre Klausuren misslingen. Man muss als Dozent seinen Studenten immer wieder klarmachen: Nur die juristische Methodik der gutachtlichen Subsumtion sichert dem Juristen das gleichmäßige Vollziehen und die richtige Verbindung der Denkbewegungen um Gesetz und Sachverhalt.

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Diese spezifisch-juristische Lehr- und Lerntechnik nimmt der Juristerei für die Studenten einfach das Schreckliche. Dazu muss man die einem anvertrauten Studenten auf die Lehr- und Lerntechnik der assoziativen Verbindung aufmerksam machen. Die Studenten werden erkennen, dass es am Lernen von Jura gar nichts so Furchterregendes gibt. Nicht nur Dozenten, sondern auch Vorgängen muss die Maske abgenommen und ihnen ihr eigenes Gesicht zurückgegeben werden. Was zeigt sich? Jura-Lernen kann richtig Spaß machen! – Dem Jura lernenden Studenten ist, wie jedem Menschen, am Wiedererkennen gelegen; er ist ein kognitiver Faulenzer. Er möchte das juristisch Alte im juristisch Neuen wiederfinden und das Generelle im Individuellen.   Durch das Alte legitimiert sich das Neue, weist sich als echt, als richtig aus – als richtig im Sinne des „Wie es immer war“ und „Wie ich es schon gelernt habe“. Das gilt insbesondere beim „Assoziationslernen“: hier dockt das Neue immer am Alten an.

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Ganz einfach: Lehren Sie einfach einfach! – Die Vielfältigkeit und scheinbare Unüberschaubarkeit der Juristerei darf einen Juradozenten niemals daran hindern, das Bedürfnis der Studenten nach Einfachheit und Klarheit und den Wunsch der Dozenten nach Vollständigkeit und Komplexität miteinander zu versöhnen. Das Weglassen des Vollständigen und Komplizierten ist die didaktische Tat. Die Beweise für den Erfolg der Dozenten, die „Einfachheit gegen Komplexität“ stellen, sind überdeutlich. Wer meine „Reduktion- und Reproduktion-Formel“ beherrscht, wird die juristische Lehre beherrschen und Lehrerfolg haben.

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Das Baumdiagramm ist neben dem Assoziationslernen der zentrale Helfer im Kampf gegen die juristische Komplexität. Jedes juristische Ordnungs-System enthält juristische Ordnungs-Untersysteme und ist selbst wieder mit anderen gleichrangigen juristischen Ordnungs-Systemen in eine Serie von juristischen Ordnungs-Über-Unter-Systemen eingebettet. Man muss den Studenten ganz schnell ein nach „Baumdiagramm-Systematisierung“ strebendes Denken angewöhnen. Das Denken in hierarchischen Systemen ist ganz wichtig für das Verstehen juristischer Bildungsinhalte, aber auch für die juristische Methodik und das Klausurenschreiben, woraus deutlich wird, dass man sie an jeder Schnittstelle seiner Vorlesung präsentieren kann, ja, Jura ohne hierarchische Systematik gar nicht „geht“.

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Weil es für die Studenten unmöglich ist, im Lehrgespräch, in Diskussionen und Dialogen nicht zu antworten. Diese „schweigenden“ Antworten sollte man kennen. Hier biete ich Ihnen eine kleine Auswahl von Interpretationen psychischer Antworten trotz verbalen Schweigens. Der motorische körperliche Vorgang der Studenten in Mimik und Gestik  macht es deutlich! – Sie können es deuten!? Man sollte sich einmal eine Lehrstunde Zeit nehmen, bei einem Kollegen hospitieren und bewusst die Studenten beobachten mit dieser demaskierenden Tabelle in der Hand! Es lohnt!

V. Evaluierung und Selbstreflexion

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Jedes Lehren, also auch das juristische, ist ein zeitlicher Prozess und besteht aus drei Phasen, über die Sie die Definitionshoheit haben: die Vorbereitungsphase, also die planerische Bezogenheit auf Inhalt und Studenten, die Durchführungsphase, bestehend aus Einleitung, Hauptteil, Schluss und die Auswertungsphase, die wichtige Vorher-Nachher-Analyse. Gelingt es, diese drei Phasen unter einen Hut zu bringen, nennt man das etwas hochfahrend „Passung“. In diesem Kapitel will ich an einem praktischen Beispiel zu erklären versuchen, wie ich mir die Arbeit für eine Lehreinheit vorstellen könnte. Ich wage es einfach einmal.

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Weil speziell die erste Klausur der Studenten, diese juristische Feuertaufe – aber auch jede weitere –, dem jungen Juraanfänger den gesamten Wind aus den gerade am Anfang aufgeblähten Segeln nehmen kann, umgekehrt eine gelungene erste Klausur einen gewaltigen Rückenwind für die weitere Fahrt durch die ersten Semester verschafft. Man muss versuchen, seinen Studenten von Anfang an die Angst vor dem „schwarzen Loch“, dem „Blackout“ in der Klausur zu nehmen, indem man sie zunächst mit der Technik der Klausurenvorbereitung und des Klausurenschreibens vertraut macht, um ihnen dann auch den Blick zu öffnen für eine ausgewogene, effiziente, studienadäquate und vor allem gerechte Benotung von Klausuren. Mit offenen Einblicken in die „Abgründe“ der Klausurenwelt verleiht der Dozent seinen Studenten die Gemütsruhe, um auf die Gaukeleien dieses Metiers herabzublicken.

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Ja! Und die wenigsten Dozenten machen sich immer wieder aufs Neue klar, dass man mit der gestellten und benoteten Klausur über Scheitern, Abbruch und Motivation seiner Studenten entscheidet und damit über Lebenszeit und Lebenschancen seiner ihm anvertrauten Schützlinge. Anlage, Planung und Benotung von Klausuren wollen gekonnt sein, wenn sie denn einen Erfolg haben sollen, und den sollten sie doch für alle haben. Man sollte seine Studenten lehren, sich „bezaubern“ zu lassen von dem Produkt des dozentischen „Zauberers“, der die juristischen Problem-Kaninchen in seinem Klausuren-Zauberhut versteckt hat und zugleich mit Staunen dem Handwerk dieses „Zauberers“ zusehen zu können. Sie sollten bei Ihren Korrekturen zwar nicht auf den juristischen Adam und Eva zurückgehen, aber den Aussagewert Ihrer Anmerkungen steigern. „Vgl. Bespr.“ nützt fast gar nichts, denn in der Besprechung erfährt der Student nur, wie einer, der den Stoff komplett beherrscht, die Klausur gelöst hätte. Das hilft ihm aber nicht, da er den Stoff eben (noch) nicht beherrscht.

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Weil nichts als „gute Lehre“ anerkannt werden darf, was nicht als „gute Lehre“ bewiesen ist. Genauso wenig darf man sich „guter Dozent“ nennen, wenn man nicht den Wahrheitsbeweis für einen „guten Dozenten“ geliefert hat. – Beurteilungen sind immer nur so gut, wie die Daten, auf die sie sich stützen. Deshalb sollte man sich erstens selbst gründlich beobachten, dann zweitens durch seine Studenten und drittens ab und zu durch einen Kollegen beurteilen lassen anhand einer Checkliste, die die Beurteilungskriterien und groben Ausprägungsgrade enthält und für Sie erinnerbar macht. Beim unkontrollierten Lehren besteht die große Gefahr, dass man sich unvermeidlich auch Falsches aneignet. Falsches muss aber als falsch erkannt und korrigiert werden. Aber mit welchen Werkzeugen? – Ich biete Ihnen drei Messinstrumente an.