Ganz einfach: Lehren Sie einfach einfach! – Das Weglassen des Vollständigen und die Reduktion der Komplexität ist die didaktische Großtat. – Es ist fast sicher, dass 100 % der Juradozenten die Juristerei für „komplex und kompliziert“ halten, 80 % von ihnen auch der These folgen, man solle alles „einfacher“ lehren, aber nur 10 % der Dozenten diese Zusammenhänge richtig verstehen und in der Lage sind, diese Erkenntnis in die Tat umzusetzen. Die Beweise für den Erfolg der Dozenten, die „Einfachheit gegen Komplexität“ stellen, sind überdeutlich. Die Vielfältigkeit und scheinbare Unüberschaubarkeit der Juristerei darf einen Juradozenten niemals daran hindern, das Bedürfnis der Studenten nach Einfachheit und Klarheit und den Wunsch der Dozenten nach Vollständigkeit und Komplexität miteinander zu versöhnen.
Je tiefer man als Dozent in das Wesen der Juristerei eindringt, desto klarer treten ihre großen Linien zutage und desto mehr vereinfacht sich der Überblick über die juristische Gedankenwelt. Man begreift immer besser, dass der methodische Kern überall der gleiche ist und es schließlich nur wenige nicht weiter zerlegbare Grundstrukturen gibt, aus denen sich die unsere Jurawelt einende Ganzheit aufbaut. Das Wesentliche am juristischen Lehren ist nun nicht nur, juristische Institute, Paragrafen und die verschiedenen juristischen Materien in Fülle als Einzelstücke wie in einem Museum nebeneinanderzureihen und mit gelehrter komplizierter Sprache um sie herum zu lustwandeln, sondern sie immer wieder durch Methode und System und Fall vor den Studenten auseinanderzunehmen und wieder miteinander zu verbinden. Es ist wichtig, sich selbst methodische und systematische gedankliche Disziplin (Zucht) anzueignen, da es den Studenten nur so ermöglicht wird, die sich hinter den verschiedensten komplexen Aspekten der Juristerei verbergende methodische Einfachheit und systematische Einheitlichkeit überblicken und begreifen zu lassen.
Einheitlichkeit und Einfachheit in die Vielheit und Vielschichtigkeit der Juristerei zu bringen, das ist des wahren Dozenten Kunst. Jüngst kam ein Kollege aus einer Vorlesung mit dem Bemerken: „Das haben die Studenten sicherlich nicht begriffen! Es ist aber nicht ihre Schuld, Jura ist wahrlich manchmal zu kompliziert. Das kann man nicht verstehen!“ Der Kollege sollte sich hinterfragen, ob er über die Fähigkeit verfügt, über die ein guter Dozent verfügen muss: Einfachheit in die Komplexität zu bringen.
Manche Jura-Dozenten neigen gerne dazu, die Juristerei allzu sehr als einen gewaltigen, unendlich komplizierten geistigen Apparat zu betrachten, der nur durch außergewöhnlich scharfsinnige Geister, nämlich durch sie selbst, wahre Akrobaten des juristischen Denkens, beherrscht werden könnte. Sie dozieren gerade so, als hätten sie sich verschworen, in olympische Regionen der Jurawelt vorzudringen, in die ihnen kein Sterblicher nachfolgen könnte. So betrachtet, muss die Juristerei den Studenten in der Tat als etwas Fernes und Unerreichbares erscheinen. Als etwas, das das normalmenschliche und damit auch das studentische Fassungsvermögen übersteigt. Als etwas, das in seiner Komplexität jenseits des Begreifbaren liegt: Ein Reservat nur für eingeweihte juristische Götter. – Diese Vorstellungen sind aber falsch! Die Gesetze sind ein unentbehrliches Element unseres gesellschaftlichen Lebens. Schon deshalb müssen sie auch unser aller Bedürfnis nach Klarheit, Einfachheit und Ordnung befriedigen, sonst wären sie untauglich, ein gesellschaftliches Steuerungselement für den Bürger zu sein!
Wie alle Präzisionshandwerke hat auch die juristische Lehre ihre könnerhafte Meisterschaft. Es ist die meisterliche Kunst, in die Komplexität der wirklichen Welt (Lebenssachverhalte) einerseits und die Komplexität der künstlichen Welt (Gesetze) andererseits Klarheit und Einfachheit zu bringen. Diese Kunst setzt die messerscharfe Fähigkeit des Lehrmeisters voraus, die entscheidenden Punkte für das erkennende Verständnis erstens zu sichten und zweitens sichtbar zu machen und zunächst alles Überflüssige und Unwichtige wegzulassen. Man braucht dafür den Blick für das Wesentliche und viel Übung, um dieses Unterscheidungsvermögen zu erwerben und für seine Lehre souverän nutzbar zu machen.
Die Handwerkskunst des Juristen bewegt sich bekanntlich in dem Spannungsverhältnis zwischen „Fall“ und „Gesetz“. Von dieser Grundspannung lebt die Juristerei!
Die Lösung dieser Spannung geschieht in der täglichen juristischen Arbeit in Form der Spiegelung dieser beiden juristischen Welten, die wir Subsumtion nennen und die als gutachtliche Methode versucht, beide Kreise einzufangen und zur Deckung zu bringen. Beide Welten sind hochkomplex, und auch die Deckungsmethode erscheint zunächst äußerst kompliziert.
Damit der Student dabei nicht schon zu Beginn in einer Flut von Details ertrinkt, muss das Bemühen des didaktisch aufgeschlossenen Dozenten darauf gerichtet sein, die verschiedenen Welten zu vereinfachen, zu systematisieren, Einzelelemente herauszustanzen, zu Gruppen zusammenzufassen, Grundstrukturen deutlichzumachen und Wege in eine juristische Orientierungskarte einzufügen. Nur wer Einfachheit in die Komplexität, d.h. in die Vielheiten der Gesetze und das Beziehungsgeflecht des juristischen Systems bringen und die handwerklichen Methoden für ihre Entflechtungen liefern kann, hat die Chance, seine Studenten für sich und die Juristerei zu gewinnen. Meine Reduktions-Reproduktions-Formel würde kompliziert so lauten:
„Die Reduktion der juristischen Komplexität auf juristisch einfache methodische und systematische Elemente des Gesetzes zur immer wieder neuen und anderen juristischen Reproduktion der Komplexität, der Vielheit und Vielschichtigkeit ist die wahrhaft staunenswerte Fähigkeit des exzellenten Jura-Dozenten.“
Das klingt furchtbar kompliziert und wäre doch so einfach für die Studenten zu übersetzen:
Diese Weisheit muss man seinen Studenten durch seine Lehrbeispiele jeden Tag neu für ihre Lehr-Wanderstrecke als ständige Wegzehrung in den Rucksack packen. Wer diese „Reduktion- und Reproduktion-Formel“ beherrscht, wird die juristische Lehre beherrschen und Lehrerfolg haben.
Diese Formel mit ihrem Schlagwort „Einfachheit gegen Komplexität“ gibt den einzigen Weg des erfolgreichen juristischen Lehrens vor, den Weg jenseits von Komplexität. Die Reduktion der Komplexität aus der juristischen Systemwelt auf einfache Elemente ist die wahre Meisterschaft des juristischen Lehrens. Der Weg der Einfachheit hat wenig zu tun mit den herkömmlichen Lehrmethoden der meisten juristischen Dozenten und den diskriminierenden Vorwürfen gegen die so Lehrenden: Einfach heißt keinesfalls leicht! Denn Einfachheit braucht Klarheit. Änderungen hin zur Einfachheit in der Lehre erfordern verdammt viele didaktische Anstrengungen. Es ist manchmal viel leichter, juristische Institute kompliziert und unklar darzustellen und sich hinter Wortverhauen zu verbarrikadieren als die Dinge einfach zu lehren. Die juristischen Lehr-Rituale, viel zu verschachtelte Antworten auf viel zu komplizierte Fragen zu haben, müssen aufgegeben werden. Was das Verständnis für einfaches Lehren in der Juristerei allerdings erschwert, ist der Aberglaube, juristische Dinge könne man nun mal nicht einfach ausdrücken: das wirke zu trivial, zu simpel (siehe den Brief des Altdozenten im Vorwort). Man kann! Man sollte es doch „einfach“ mal „einfach“ machen! Man sollte es wenigstens versuchen! Einfachheit ist das beste Mittel zum juristischen Lehrerfolg. Viele Studenten, wie die meisten Menschen, verstehen keine komplizierten Probleme, sie verstehen nur einfache. Also sollte man die Probleme so aufschließen, dass sie eine Reihe von einfachen juristischen Gedanken ergeben.
Dann wird es auch gelingen, aus diesen heruntergebrochenen einfachen Einzelteilen immer wieder und vor allem immer wieder neu die Komplexität vor den Augen seiner Studenten zu reproduzieren. Nur so werden seine Studenten die Komplexität der Juristerei beherrschen lernen und … mit Freude in seine Vorlesungen kommen, weil sie etwas zu „be-greifen“ finden.
Was ist eigentlich „komplex“?
Man kann nun die Juristerei durchaus als „komplex“ beschreiben, den Umgang mit diesem „System Jura“ als „kompliziert“.
Die Komplexitätskurve zeigt, was bei einer zunehmenden Zahl von Gesetzen mit ihren Tatbestandsmerkmalen und ihren Beziehungen untereinander passiert: die Komplexität steigt progressiv. Um gegenzusteuern, muss der Dozent die steigende Komplexität reduzieren. Das entscheidende juristisch-didaktische Mittel, der Erfolgsfaktor für die Komplexitätsbeherrschung, ist die Reduktion der Komplexität.
Das klingt „kompliziert“ und ist doch so „einfach“: Einfache Systeme unterscheiden sich von komplexen Systemen immer durch die Anzahl der Elemente, die Anzahl der Möglichkeiten und den Umfang der Beziehungen zwischen ihnen.
Was ist es eigentlich, was die Vollständigkeits- und Komplexitätssucht vieler Jura-Dozenten antreibt?
Es ist gar nicht so kompliziert, eine Lehrstunde einfach zu machen. Es ist fast immer das „Viele“, das „Alles“ und das „Alles-gleichzeitig-Wollen“, was so manche Lehrstunde scheitern lässt. Komplexität kann aber nur reduziert werden, indem man weniger macht und die Dinge hintereinander „einfach“ darstellt. – Warum? Weil der Student die Einfachheit braucht, wenn die Komplexität um ihn herum zunimmt. Er sucht nach der Einfachheit, nach der Einheit in der Vielheit, nach Übersicht, Ordnung und Struktur – er sucht den intelligenten juristischen Lehrer. Intelligente Lehre ist einfache Lehre. Wenn dem Dozenten die Reduktion der Komplexität in seiner Lehre gelingt, dann gelingt seinen Studenten die Beherrschung der Komplexität, ganz einfach: Wenn …, dann …!
Komplex wird es für den Dozenten immer dann:
Übrigens: Denken Sie an die Erkenntnis der Verständlichkeitsforschung: Im Vorlesungsgedächtnis darf man nicht mehr als maximal sieben gleichgeordnete Merkposten aufladen, sonst … Sie wissen schon: Ab in den Orkus ewigen Vergessens!