18. Frage

Zu reden ist eine Kunst? – Wie erlerne ich sie?

Die Grenzen Ihrer Sprache sind die Grenzen Ihrer Vorlesung! 50 Stichpunkte für den juristischen Rhetor, um Ihre Grenzen weit zu verschieben:

 

  • Aufregung muss sein. Bleiben Sie ganz ruhig, nicht wippend oder ständig das Standbein wechselnd. Auf beiden Füßen stehen; auch wenn das Adrenalin zum Weglaufen drängt. Setzen Sie diese „Nervositätsenergie“ als „Anregungsenergie“ für Ihren Einstieg ein!
  • Denken Sie dran: Ihr Gedanke muss im Moment verstanden werden – es gibt für die Studenten, anders als im Lehrbuch, kein Zurückblättern mehr.
  • Orientieren Sie sich immer an den Bedingungen menschlicher Aufnahmefähigkeit. Und die sind recht beschränkt.
  • Das angestrebte Sprachniveau sollte nicht das des Reichsgerichts oder des Bundesgerichtshofes sein.
  • Ihre Aufgabe ist es keineswegs, Ihre doch überwiegend unfreiwilligen Mithörer mit juristischem Stoff zu überschütten. Denken Sie immer wieder daran: Darstellen heißt weglassen. Die Kunst des Langweilens besteht darin, alles sagen zu wollen.
  • Auf das „Wie“ Ihrer verbalen und nonverbalen Kommunikation kann auch Ihr stolzestes Fachwissen, das „Was“, niemals verzichten.
  • Stellen Sie als erstes Ihr genau herausgearbeitetes Thema, Ihren intendierten Lehrabriss, vor. Dann erst legen Sie Ihren vorgesehenen gegliederten Aufbau, Ihren roten Faden, dar. Eine klar ausgeflaggte Zielvorstellung ist für Ihre Zuhörer Gold wert. Wohin geht die Reise heute? – Und wohin nicht?
  • Sprechen Sie möglichst bald frei! Darauf wird heute von Studenten geachtet. Wenn Sie schon nicht behalten haben, was Sie lehren, wie soll der Student es behalten?
  • Sprechen Sie l – a – n – g – s – a – m,   betont und mit Klangfarbe (viva vox docet: lat.; die lebendige Stimme lehrt). Lassen Sie es nicht zu einer Niederlage des Denkens vor der Zungenfertigkeit beim zu schnellen Sprechen kommen! Schweizer müsste man bei der Vorlesung sein!
  • Setzen Sie visuelle Medien ein. Nur eben keinen Medienzirkus! Wenn möglich immer das Whiteboard.
  • Je abstrakter das ist, was Sie lehren müssen, umso mehr sollten Sie sich ums fallbasierte Konkrete bemühen. Natürlich braucht man Definitionen und Hierarchiebegriffe in der Juristerei, nur sollte man immer parat haben, dass man alles mit einem anschaulichen Fall unterlegen kann, ja muss. Jura ist nicht l’art pour l’art, sondern immer Rechtsanwendungswissenschaft.
  • Ein Wort ist umso verständlicher, je weniger Silben es hat. Kurze Wörter bleiben hängen. Unter der Last der juristischen Silbenungeheuer bricht das trainierteste studentische Langzeitgedächtnis zusammen.
  • Überlieferte Floskeln lösen negative Reaktionen aus. Gleiches gilt für abgegriffene Redensarten, abgewetzte Sprichwörter und abgenudelte Witze. Der Student stutzt nicht, er hört peinlich berührt weg.
  • Modewörter und Jugendsprache sind anbiedernd und meist albern, sie gähnen die Studenten an. Sie gewinnen dabei nicht, sie verlieren an Autorität. Kein Student erwartet von seinem Dozenten Slang.
  • Der Hauptsatz ist das Fundament aller Verständigung, kraftvoll und klar. Warum soll das Hauptsatzmodell nicht auch für wichtige Vorlesungsaussagen taugen, wenn alle Sprichworte und fast alle Lebensweisheiten Hauptsätze sind?
  • Präsentieren Sie niemals nur Resultate. Vielmehr sollten Sie Ihre juristischen Gedankengänge gemeinsam mit Ihren Studenten entwickeln.
  • Halten Sie keinen zu langen Monolog, sondern treten Sie immer in einen gedanklichen Dialog mit Ihren Studenten ein. Wer isoliert vor sich hinredet, ohne seine Gedanken an die Zuhörer zu adressieren, darf sich nicht wundern, wenn er keine findet. Ihr Vorlesungssatz darf niemals nur Satz sein, er muss immer über sich hinausgehen hin zum aufnehmenden Studenten.
  • Lassen Sie Ihre juristischen Gedanken immer erst während der Vorbereitungsphase in Ihnen reif werden, ehe Sie sie als rhetorische Früchte in der Lehre präsentieren.
  • Man muss merken, dass Ihnen die Arbeit mit dem Thema Spaß gemacht hat. Notfalls müssen Sie eben ein wenig schauspielern.
  • Die Studenten hören immer nur das, was Sie sagen, nicht das, was Sie sagen wollten. Also keine Angst vor dem unfreiwilligen Auslassen vorbereiteter Gedanken.
  • Auch juristische Vorlesungen haben immer einen Grund: das juristische Thema. Das muss man aber auch bemerken.
  • Sie müssen zum Studenten reden und nicht nur zum Thema; im Zwiegespräch mit dem Thema reden und nicht monologisch über das Thema.
  • Der Dozent ist auch als Persönlichkeit verantwortlich für das Zuhören. Lehren ist nicht nur eine Sache des Ausdruckes, sondern auch eine Sache Ihrer Ausstrahlung.
  • Auf der Sachebene geht es besser, wenn die Gefühlsebene stimmt.
  • Drei Störungen, denen Sie begegnen müssen:
    • Ihr Thema ist uninteressant (Sie langweilen!)
    • Sie klingen unangenehm (Man mag Sie nicht!)
    • Sie sind schwer zu verstehen (Man hört Sie nicht!).Also: Machen Sie es interessanter, verändern Sie Ihre Stimme nach Stärke und Höhe, artikulieren Sie besser!
  • Ihre Stimme muss stimmen! Ihr Inhalt muss stimmen!
  • Lassen Sie öfter Pausen sprechen!
  • Auf die Aufnahmefähigkeit der Studenten Rücksicht nehmen.
  • Studentenfreundlich, d.h. klar, einfach, fallbasiert und spannend reden.
  • Zeigen Sie Persönlichkeit! Bauch raus: „Jetzt komme Ich!“. Wie Sie stehen, so kommen Sie an. Rennen Sie nicht wie ein Tiger im Käfig ständig hin und her.
  • Durch den Blickkontakt wird das „Vorlesen“ zum „Vortragen“: Lassen Sie Blicke blicken! Bei der Vorlesung haben Sie ein Gegenüber, Schriftsprache ist stumm. Als Bücherschreiber können Sie im Gegensatz zum Vortragenden Ihre Studenten nie befragen, „Haben Sie das verstanden?“ – Und als Student kann man den Schriftgelehrten nie ausquetschen mit der Frage „Wie meinen Sie das?“ – In der Vorlesung kann man beides.
  • Je schwerer, desto freundlicher. Gesicht sympathisch – alles sympathisch.
  • Überprüfen Sie alle Ihre Ideen und Ihre Gedanken auf ihre Präsentationsfähigkeit und Funktionstüchtigkeit für das juristische Verständnis.
  • Wecken Sie mit dem „Einstieg“ Interesse und halten Sie dieses Interesse hoch durch Rückkoppelungen.
  • Sie sprechen weder zu Spezialisten noch zu Laien, sondern zu Ihren hoffentlich interessierten Jurastudenten.
  • Beziehen Sie Ihren Zuhörerkreis mit ein. Die Studenten halten sich erfahrungsgemäß mit Fragen sehr zurück, um sich nicht bloßzustellen, aber auch, um Ihnen nicht wehzutun. Stellen Sie schon während Ihrer Ausführungen Fragen in den Raum. Lassen Sie Fragen offen unter Hinweis auf eine Folgediskussion oder einen fünfminütigen Fragenblock. Regen Sie Ergänzungen an. Provozieren Sie Widerspruch.
  • Verteilen Sie zu Beginn Ihrer Ausführungen eine Gliederung oder schreiben Sie eine solche an die Tafel. Nehmen Sie dann aber auch immer mal wieder auf die Gliederung Bezug.
  • Das Wichtigste in Ihrer Vorlesung sind und bleiben Ihre Studenten. Ohne Studenten machte Ihre Vorlesung keinen Sinn. Nach Ihrer Vorlesung sollte Ihr „Publikum“ über einen Mehrwert an juristischem Wissen verfügen.
  • Was will ich erreichen? Zielklarheit! Über das Ziel muss so informiert werden, dass es im Gedächtnis bleibt!
  • Das Geheimnis der Langeweile besteht darin, alles zu sagen. Mut zur Lücke!
  • In der Einleitung erfreut sich der Student besonders an Bekanntem. In Ihrer Einleitung entscheidet es sich, ob man Ihnen aufmerksam zuhört.
  • Routine ist gut, aber langweilig. Studenten mit Abwechslung bei der Stange zu halten, ist die Kunst. Genau: Varietas delectat!
  • Dreifach gliedern: Gleich am Anfang der Vorlesung Gliederung bekanntmachen. Auf diese Gliederung im Laufe des Hauptteils immer wieder zurückkommen. Am Ende die Gliederung mit den Studenten auf ihre Einhaltung hin überprüfen.
  • Ein guter Schluss kann eine mäßige Vorlesung bei den Studenten manchmal retten.
  • Vor anderen zu reden, macht Angst. Sie können dagegen aber etwas unternehmen: Richtig gut vorbereiten und Ihre Angst anerkennen!
  • Übrigens: Auch im Multimedia-Zeitalter muss eine Dozentenpräsentation nicht unbedingt mit Laptop und Beamer abl(s)aufen. Ist der Inhalt nicht adäquat, kann die beste Show nichts retten.
  • Ihre Studenten verkraften pro Satz nur einen Gedanken! Mehr sollten Sie ihnen deshalb auch nicht zumuten. Drei Sekunden, mehr nicht: Das ist die Frist, die Ihnen die Studenten für einen Satz geben. Dann muss es gesagt sein! Sonst hat er den Anfang schon verloren, ehe das Ende erreicht ist, was er nicht mehr begreift, weil er den Anfang nicht mehr weiß.
  • Es ist verdienstvoll, wenn Sie als Dozent nicht mehr erklären wollen, als Sie selbst verstanden haben.
  • Zum guten Schluss: Reihen Sie einmal die jeweils ersten Teile der folgenden Gegensatzpaare aneinander und Sie werden sehen: Genau so muss Ihre Vorlesung sein – die komplementären Begriffe überlassen Sie den schlechten Dozenten!
    • Kurze Sätze – lange Schachtelsätze;
    • bekannte Wörter – unbekannte Wendungen, Fremdwörter;
    • Umgangssprache – Gelehrtensprache;
    • Verständlichkeit – Kompliziertheit;
    • Anschaulichkeit – Abstraktheit;
    • Struktur – Zusammenhanglosigkeit, Unübersichtlichkeit;
    • Normalfall – Exot;
    • Gesamtgliederung mit Unterteilungen – Wirrwarr;
    • wesentlich, wichtig – nebensächlich, unwichtige Einzelheiten;
    • Kürze, Prägnanz – Weitschweifigkeit, abirrende Darlegungen;
    • lebensnahe Beispiele – unpersönliche Nüchternheit;
    • erfrischende Passagen – Trockenheit.
    • Viel Freude in Ihren Vorlesungen! Und wie lange Sie reden sollen? So lange, dass Ihre Studenten Ihre Vorlesung als zu kurz empfinden.