Studenten halten nicht alles für erhaben, was sie nicht verstehen. Von der juristischen Wissenschaft bleibt genügend übrig, auch wenn man den Wissenschaftsjargon an die kurze Vorlesungsleine legt. Was der Gesetzgeber darf, wenngleich nicht tun sollte, nämlich sich geheimnisvoll-dunkel auszudrücken, dürfen Sie gerade nicht. Sie müssen es besser machen als die „Mütter und Väter“ des Gesetzes. Umgekehrt wird es Ihnen aber nicht immer gelingen, im Handumdrehen ein Abstraktum (Gedankliches) in ein Konkretum (Gegenständliches) zu verwandeln. Allein bemühen müssen Sie sich um eine prägefreudige, aussagekräftige Sprache. Meiden Sie schwerfällige, bürokratisch-juristische Verben und Substantivierungen.
Leider versuchen manche in der tradierten juristischen Vorlesungs- und Lehrbuchkultur den Überfluss der Beispiel- und Fallsuche, Bildhaftigkeit, Emotionalität mit der Radbruch’schen Sprachformel mit allen Mitteln als „unjuristisch“ zu bekämpfen:
„Die Juristensprache ist kalt: sie verzichtet auf jeden Gefühlston; sie ist barsch: sie verzichtet auf jede Begründung; sie ist knapp: sie verzichtet auf jede Lehrabsicht. So entsteht die selbstgewählte Armut des Lapidarstiles.“
Diese Lapidarsprache mag sich für dekretierende Urteile eignen, nicht für eine den jurastudentischen Geist gewinnen wollende Lehre! Im rechtswissenschaftlichen Stil geht es darum, eine Sache möglichst klar und knapp zu behandeln, kein sprachlicher Schmuck, keine rhetorischen Künste, sondern Evidenz, Logik, Folgerichtigkeit. Ganz anders im lehrenden Sprachstil! Die Juristen verbindet in der Praxis eine allgemeine Aversion gegen jede Art von Zuviel. Diese Abneigung müssen Sie als Dozent bekämpfen. Kürzen Sie bitte nicht, was zu kürzen ist! Lieben Sie die didaktisch veranlasste Üppigkeit! Sie sind in keiner Klausur, Sie schreiben auch kein Urteil und keinen Beschluss, auch keine Anklage und keinen Schriftsatz. Aber eben auch nicht zuviel! Um einen Tiefpunkt der Verständigung zwischen Dozent und Student zu erreichen, muss man zwischen Artikel und Substantiv möglichst beliebig viele Beiwörter schieben. Gleiches gilt übrigens für die zwischen Subjekt und Prädikat gepferchten Wortprozessionen. Nur studentische Gedächtnisakrobaten können das behalten, der Rest muss abschalten.
Beispiele: Die „Eisenbahn“ des Reichsgerichts, die wir alle kennen und belächeln, und 1000 Urteile des BGH. Das Kurzzeitgedächtnis hat seine Speicherkapazität mit 6 Wörtern erreicht, mit 7 überschritten.
Ein Beispiel didaktisch veranlassten guten Überflusses: Im Märchen erscheint immer zuerst der Herold und kündigt den König an. Dann erscheint der König und deklamiert. Ihm folgt sein bunter, schnatternder Hofstaat. – Herold, König und Hofstaat: Ankündigung, königliche Worte und ausschmückende Bestätigung. Genau so bringt ein guter Dozent sein Wissen an die Studenten.
Nach dem Lapidarstil würde gelten: „Nur der König ist wichtig! Herold und Hofstaat sind überflüssiges Gedöns!“ Nein! Die gute Didaktik lebt auch vom Überfluss, das Urteil von der Verknappung. Um der Verständlichkeit willen muss man als Dozent viel mehr sagen als inhaltlich nötig ist:
Wir sollten den Reichtum des Deutschen für uns nutzen!
Obwohl unsere Sprache über einen bewundernswerten Reichtum verfügt, kann es trotzdem sein, dass Sie Fremdwörter benutzen müssen. Ein bestimmtes Fremdwort sagt eben manchmal über einen Begriff eine feine Spur mehr aus
oder gibt eine besondere Färbung, eine feinere Schattierung mehr dazu als das deutsche Wort. Es entwickelt erst die besondere Note des Begriffs, den besonderen Klang oder gibt die unverwechselbare Tiefenwirkung. Dennoch gilt grund-sätzlich: Den Gebrauch von Fremdwörtern sollte man nicht übertreiben, aber die deutschtümelnde Abneigung gegen sie überwinden. Studenten mögen übrigens Fremdwörter, wenn man sie ihnen erklärt und etymologisch ableitet. Warum sollte man die Kausalität nicht Kausalität nennen (statt: Ursächlichkeit), wenn alle die Kausalität Kausalität nennen? Aber übersetzen müssen Sie die Fremdwörter, immer wieder. Und: Meiden Sie Imponierverben: generieren (erzeugen, bewirken), implementieren (umsetzen, verwirklichen), thematisieren (wollen mal darüber reden). Wie jede andere Wissenschaft hat auch die Jurisprudenz ihre eigene griechisch-lateinisch-abstrakte Sprachenwelt. Wir sollten uns aber jedenfalls in der Vorlesung nicht zu oft darin aufhalten und uns nicht in die akademische Unbelangbarkeit und Belanglosigkeit hinwegfremdwörteln. Vorschlag: Erstellen Sie mit Ihren Studenten (Heimarbeit) einen Katalog zentraler, juristisch unvermeidlicher Fremdwörter.
Auch unseren juristischen Fachausdrücken wohnt für den Studenten eine gewisse Dunkelheit inne. Sie sollten sich, jedenfalls im Anfang, vornehmen, Ausdrücke zu vermeiden, die nur in der bestimmten Menschenklasse „Berufs-Juristen“ verwendet werden. Vielmehr sollten Sie solche gebrauchen, die allgemein üblich sind und die auch ein Abiturient kennt. Es ist ziemlich gewiss, dass es in der Juristerei schlechthin nichts gibt, was mit Ausdrücken der Volkssprache nicht deutlich gemacht werden kann. Auch scheint es mehr als ein Gerücht zu sein, dass bei der Konzeption der Zivilprozessordnung der Satz tatsächlich Pate gestanden hat: „Die ZPO muss deshalb so kompliziert sein, damit der Laie das Procedere (lat.; das Zuwerkegehen) nicht durchschaut“. Aber ganz ohne Fachausdrücke werden und sollten Sie nicht auskommen, da man anderenfalls keine Klarheit gewinnt. Der juristische Fachausdruck verdichtet sehr häufig einen bestimmten Gedanken zur handlichen Formel. Diese Grundlagen der Juristensprache sind auch entscheidend für das Erschließen weiterer juristischer Inhalte. Im Übrigen: Es ist überall selbstverständlich, dass im Zuge einer sich geradezu überstürzenden technischen Entwicklung und einer unaufhaltsamen Erweiterung aller Wissensgebiete in unserer Zeit und in der Zukunft der Fachmann einen Anspruch auf ein Sonderwortgut hat, um sich schnell und präzise über Sachverhalte verständigen zu können. Nur sollte man seine Studenten langsam daran gewöhnen.
„Knapp“ ist eine Darstellung, die einen großen Inhalt in einem kleinen Raum zusammendrängt. „Breit“ ist dann eine Darstellung, die einen kleinen Inhalt in einen großen Raum ergießt. Dabei muss man unterscheiden zwischen sprachlicher Knappheit und sachlicher Knappheit. Die sprachliche Knappheit spart an überflüssigen Worten, die sachliche an entbehrlichen Gedanken. Beide Knappheiten sollten wir in der Vorlesung meiden! Ihre Studenten haben eine Vorliebe für die jeweilige Mitte. Sie müssen lediglich gegen Ende Ihrer Vorlesung eine gewisse Vorliebe für Knappheit entwickeln, weil die Wirkung Ihres Vortrages mit der Länge Ihrer Ausführungen abnimmt. Denn es gilt das Gesetz der abnehmenden Reizwirkung: dem Hungrigen schmeckt das dritte Brot nicht mehr so gut wie das erste. Knappheit verleiht einer Rede eine strenge und vornehme Form. „Das Gute ist zweimal so gut, wenn es kurz ist“ (Gracian) – aber nicht in der Lehre! Der Vorteil der Verkürzung ist oft ein Pyrrhussieg, denn er geht zu Lasten des Verständnisses und verscheucht die „Annahmefähigkeit“ Ihres Satzes bei den Studenten. Er ist im Kurzzeitgedächtnis oft bereits erloschen, bevor er im Langzeitgedächtnis wirksam werden kann. Das Breittreten kann allerdings manchmal den Gedanken töten! Das Geheimnis der tödlichen Langeweile besteht auch in der Vorlesung darin, alles zu sagen! Alles ist Gift, es kommt nur auf die Menge an!
„Es war einmal eine kleine Idee, – ein armes schmächtiges Wesen – da kamen drei Dozis des Weges, o weh, und haben sie aufgelesen. Der eine macht einen Satz daraus, das hielt die kleine Idee noch aus, der zweite eine Tirade – da wurde sie schwach und malade; der dritte wollt‘ sie verwenden zu einem Buch in drei Bänden – dem starb sie unter den Händen“. (frei nach Sommerstorff)
Mark Twain wurde einmal gefragt, was er von Hegel halte. Seine Antwort: „Das kann ich noch nicht sagen. Ich habe von seinen drei dicken Bänden erst zwei gelesen und das Verb kommt erst im dritten.“
Sie müssen in Ihrer Vorlesung dringlichst darauf achten, nicht missverstanden zu werden. Das Kunstmittel der ahnungsvollen Dunkelheit müssen Sie den Dichtern und Philosophen – oder manchmal eben dem Gesetzgeber – überlassen. Auch für die juristische Vorlesungswelt gibt es das Missverständnis zwischen Gesagtem und Verstandenem. Wenn in Ihnen eine Dichterin oder ein Dichter steckt, so beweisen Sie das in einem Gedicht – nicht in der juristischen Vorlesung! Der Schlüssel zur Verständlichkeit ist die Ordnung. Sprachliche Ordnung heißt, dass Ihr sprachlicher Ausdruck so ablaufen muss wie Ihr Gedanke.
Sie können nicht zwei Gedanken gleichzeitig denken, geschweige denn aussprechen. Kognitives Multitasking geht nicht. Dann versuchen Sie aber bitte auch nicht, zwei Gedanken in einem Vorlesungssatz miteinander zu vermengen. Folge: Wirrwarr!
Bringen Sie den zweiten Gedanken nie vor dem ersten. Die richtige Reihenfolge der Gedanken gehört zur sprachlichen Ordnung – und damit zur Klarheit.
Sparen Sie mit allgemeinen Wendungen wie „dieser“, „hiermit“, „daneben“, „jener“ und wiederholen Sie stattdessen zur Vermeidung von Unklarheiten die konkrete Wendung (Meyer könnte von Schmitz gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB die Rückübereignung des Autos verlangen. Das setzt voraus, dass dieser (?) von jenem (?) (oder jener von diesem?) …)
Ihre Vorlesung soll verständlich sein. Allerdings muss man sich fragen: verständlich für wen? Was der eine versteht, ist dem anderen ein ewiges Geheimnis. Verständlichkeit heißt Verständlichkeit für den berufenen juristischen Studenten, der sich „strebend bemüht“. Man muss aber wissen, dass man auch als Jurist mit Farbe, Feuer und Kraft und dennoch glasklar verständlich sprechen kann. „Das Verständliche an der Sprache ist das, was nicht geschrieben werden kann“ (Nietzsche). Modulation, Betonung, Pausen, Gestik, Mimik, Medien, Lautstärke, Sprachgeschwindigkeit und die Reduktion semantischer Mehrdeutigkeiten lassen eine dunkle Rede zur hellen Vorlesung werden.
Sie können so kompliziert denken, wie Sie wollen, wenn Sie nur einfach reden.
Das Komplizierte in Form unendlich langer Sachperioden überlassen Sie getrost den anderen. Es gibt zwei Arten majestätischer Wortprozessionen: den Schachtelsatz und den Kettensatz. Beim Schachtelsatz sind die einzelnen Satzglieder ineinander verkeilt, beim Kettensatz aneinandergehängt (im Kettensatzstil können Sie ein ganzes Buch ohne Punkt schreiben). Beide Arten von Bandwurmsätzen müssen Sie meiden. Den einfachen Satz müssen Sie sich bei den Juristen allerdings schwer erkämpfen. Sie neigen dazu, sprachlich „gegen unendlich“ zu verschwimmen mit Verunzierungen durch 1000 eingeschachtelte Nebensätze und Adjektive. Die Satzmonumente sind bei jungen Dozenten auch deshalb so beliebt, weil „unser“ BGH und „unsere“ großen juristischen Denker sie so gerne „bauen“. Man bevorzugt die höchstrichterlich abgeklärte Urteilssprache. Dem Dozenten wird der Bandwurmsatz jedenfalls übelgenommen als Zuchtlosigkeit im Denken. Der Student reagiert sauer: „Der Dozent ist nicht imstande, einen Gedanken zu Ende zu denken; er fällt sich immer selbst ins Wort, schiebt jeden Einfall einfach dazwischen, und ich soll jeden angefangenen Gedanken im Kopf behalten – danke, nein!“ Also: Werden Sie kein Langsatzarchitekt!
Verb bleibt Verb und Hauptwort bleibt Hauptwort. „Ich kam, sah und siegte“, schrieb Cäsar an seine Frau und nicht etwa: „Nach durchgeführter Zielerreichung und Besichtigung der vorgefundenen Verhältnisse war die Erringung des Sieges möglich.“ Juristen sind auf den Nominalstil versessen, auf gekünstelte überlange Substantive, vorzugsweise mit „ung“-Endungen. Die Seele des Satzes ist sein Verb – bei den Juristen stirbt es. Wenn man die Handlung in ein Hauptwort zwingt und ein farbloses Zeitwort (sein, werden) anfügt, wird der Satz schlaff und langweilig. Die „Hauptworterei“ entspringt einer Schwäche: Wenn man etwas unklar lassen will oder seine Gedanken aus mangelndem Mut abschwächen will, wählt man möglichst abstrakte Hauptwortbildungen und künstlich angefertigte „verbale“ Hauptwörter auf die Endungen ‑ung, -heit, -keit. „Zwecks Kennzeichnung des zum Verkauf zu stellenden Fleisches erfolgt die Anbringung von Geburtsdatierungen an demselben.“ Alles klar? „Verkäufliches Fleisch ist mit den Geburtsdaten der Tiere zu kennzeichnen“. „Verfristung infolge Verunfallung“ oder infolge „Vereisungen der Fahrbahnverschwenkungen“ – Brr…!
Wie man es mit den Empfehlungen zum Mitschreiben oder Abschreiben hält, ist jedem selbst überlassen. Man kann es verbieten oder zulassen. Aber man sollte immer daran denken, dass die Studenten ein ungeheurer Schreibzwang erfasst, sobald der Dozent nur das erste Wort an die Tafel geschrieben hat. Auch wenn man wiederholt und mit Nachdruck gefordert hat, Füller, Stifte und Marker wegzulegen, so nähern sich die Finger immer wieder zielstrebig den Schreibmaterialien. Der Schreibzwang der Studenten behindert ihre Denk-, Diskussions- und Mitarbeitsbereitschaft während des Lehrgespräches oder des Vortrages. Wenn man erst am Stundenschluss den Auftrag gibt, das Tafelbild abzuschreiben, geraten die Studenten immer in Hetze. Man sollte es den Studenten vielleicht selbst überlassen, die im Grunde triviale Entscheidung zu treffen, ob sie sofort mitschreiben oder nicht. Man sollte den Studenten auch sagen, was man für mitschreibwürdig hält und was nicht. Grundsätzlich muss man aber soviel Zeit für das Abschreiben lassen, dass gerade auch die leistungsschwächeren Studenten den Text in Ruhe abschreiben können. Es geht nicht an, dass immer nur die schnellen Schreiber den Tafeltext vollständig und halbwegs fehlerfrei mitschreiben können und dadurch als Privilegierte noch mehr privilegiert werden.
Sehr empfehlenswert ist es, den Studenten den unten dargestellten „Mitschriftbogen für Vorlesungen“ zu empfehlen und ihnen die damit verbundenen Vorteile durch ein Musterexemplar und durch Erläuterungen klar vor Augen und Ohren zu führen.